Die Welt, 15.07.2000 Von Nikolaus Blome Brüssel - Der aufflammende Streit um das deutsche Asyl- und Einwanderungsrecht gerät zusehends unter EU-Vorzeichen - auch wenn die meisten Bundestags-Abgeordneten das noch nicht wahrnehmen, und auch die Brüsseler Kommission es nicht recht wahrhaben will. "Die Mitgliedsstaaten bleiben vollkommen frei, ihr Zuwanderungs- und Asylrecht zu gestalten", versichert ein Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Antonio Vitorino. Dass der Anpassungsdruck besonders auf die Deutschen aber stetig wachsen wird, bestreitet er nicht. Tatsächlich leistet Deutschland bei fast allen Kommissions-Vorschlägen bislang Widerstand. Wegen der großen Zahl von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Deutschland hat jede Änderung an deren Rechten und Ansprüchen erhebliche Folgen. Es geht um viel Geld und die Furcht vor massivem Andrang von Ausländern. Die EU-Kommission will dabei nicht den Sündenbock spielen. "Wir tun nur, was uns die Staats- und Regierungschefs aufgetragen haben", sagt ein Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Antonio Vitorino. Tatsächlich hatten die EU-Staaten im Oktober 1999 beschlossen, bis 2004 ein "Gemeinsames Europäisches Asylsystem" zu schaffen. Die Kommission macht nun Vorschlag um Vorschlag, um diesen Rahmen zu füllen; über jeden einzelnen entscheiden die 15 Mitgliedsstaaten allein. Das Europäische Parlament darf seine Meinung sagen, hat aber nichts zu entscheiden. Ewig mauern können die Deutschen nicht, aber ein halbwegs harmonisiertes EU-Recht wird "die Änderung des deutschen Asylrechts erzwingen", schätzt der Chef der deutschen CDU-Abgeordneten im Europa-Parlament, Hartmut Nassauer. Das im Grundgesetz verankerte, einklagbare Grundrecht des Einzelnen auf Asyl in Deutschland "können wir uns dann nicht mehr leisten", so Nassauer. Aus dem Vorschlags-Katalog der EU-Kommission sind recht weit gediehen der EU-Flüchtlingsfonds und die Richtlinie für die einheitliche Regelung des Nachzugs von Familienangehörigen eines Flüchtlings, der in einem EU-Staat legal lebt. Aus dem Flüchtlingsfonds sollen über fünf Jahre gut 400 Millionen Mark an die Staaten verteilt werden, in denen besonders viele Flüchtlinge Schutz suchen - zum Beispiel Deutschland, das seit Jahren nach mehr europäischem "Lastenausgleich" ruft. Strittig sind allerdings noch die genauen Kriterien, nach denen das Geld zugeteilt werden soll. Deutschland sperrt sich zugleich gegen die bisherigen Vorschläge der EU-Kommission für die Nachzugs-Regelung: Brüssel erwägt deutliche Erleichterungen, die Bundesregierung fürchtet einen massiven Zuzug von bis zu 500 000 weiteren Ausländern. Das sei nicht zumutbar, erklärte Bundesinnenminister Otto Schily beim letzten Treffen der Innen- und Justizminister. Gestritten wird weniger ums Prinzip als um zahlreiche Begriffs-Bestimmungen, die aber "erhebliche Folgen für Deutschland hätten", wie es unter EU-Diplomaten heißt. Beispiel: "Familie", die man nachholen dürfte, wäre nach Brüsseler Vorschlag auch erwachsene Kinder, Eltern, Großeltern und gleichgeschlechtliche Lebenspartner. Außerdem wäre ein "Flüchtling", der seine Familie nachholen darf, nach Brüsseler Lesart auch jemand, der nur befristet Aufenthaltsrecht hat oder der als abgelehnter Asylbewerber nur geduldet wird. EU-Diplomaten halten einen Kompromiss bis Ende des Jahres trotz aller Detailprobleme für gut möglich. Den Status für befristet in der EU aufgenommene Flüchtlinge will die EU-Kommission in einer weiteren Richtlinie vereinheitlichen. Ihnen sollen zwei Jahre lang Unterkunft, medizinische Versorgung und Sozialleistungen gewährt werden - und eine Arbeitserlaubnis, was besonders Deutschland ablehnt. Dazu kommen im September zwei ausführliche Stellungnahmen der Kommission, die den Mitgliedsstaaten Minimal-Standards für das Asyl- und das Einwanderungsrecht nahelegen werden. Das dürfte die deutsche Debatte mächtig anheizen, obwohl die Kommissare eigentlich das Gegenteil wollen: das "Asyl-shopping" unterbinden, bei dem die verschiedenen Gruppen von Asylsuchenden gezielt das EU-Land ansteuern, was ihnen die besten Aussichten bietet. Wer eindeutig allein aus wirtschaftlicher Not geflohen ist, beantrage eher in Deutschland Asyl, heißt es in Brüssel. Denn die Verfahren bis zur unvermeidlichen Ablehnung dauerten meistens Jahre. Wer aber offenkundig politisch verfolgt sei, gehe nicht selten lieber in Länder mit kurzen Verfahren, um dort schnell einen sicheren Status zu erwerben. Zwar werden auch halbwegs harmonisierte Asylrechts-Bedingungen in der EU die Deutschen rechtlich nie zur Abschaffung ihres heutigen Asylrechts zwingen. Jedes Land wird weiter über die künftigen Minimal-Bedingungen hinausgehen können. Aber die nahezu einzigartige deutsche Variante mit individuell einklagbarem Anspruch könnte noch größere Anziehungskraft auf Flüchtende aus aller Welt entwickeln, und allein damit eine entsprechende Grundgesetzänderung erzwingen, wie vor wenigen Jahren schon einmal. "Die Deutschen haben ein Problem mit ihren Verfahren, die zu lange dauern und deshalb zuviele Leute anziehen, die eigentlich kein politisches Asyl verdienen", heißt es im Umfeld von EU-Kommissar Vitorino. "Aber das Grundgesetz müssen sie schon selber ändern." |