taz 17.7.2000 Brandcocktail zum Sonntag Bilanz eines Wochenendes: 11-Jährige aus dem Kosovo bei Brandanschlag in Ludwigshafen schwer verletzt. Kenianer von Jugendlichen in Vorpommern angegriffen. NPD marschiert FRANKFURT taz In der Samstagnacht um 1.39 Uhr zerbarst eine der Fensterscheiben im Erdgeschoss des Asylbewerberheimes im Ludwigshafener Stadtteil Oppau. Der Molotowcocktail schlug im Schlafzimmer einer albanischen Familie aus dem Kosovo auf, entzündete sich und verletzte drei Kinder. Ein elfjähriges Mädchen musste mit schweren Brandverletzungen an den Beinen ins Krankenhaus eingeliefert werden, eine Zwölfjährige und ein vierzehn Jahre alter Junge erlitten durch die Glassplitter Schnittwunden an den Händen. Der oder die Täter konnten unerkannt entkommen. Der Anschlag gehörte zu einer Reihe rechtsextremistischer Vorkommnisse am Wochenende. Sieben Jugendliche prügelten in der Nacht zum Sonntag in Barth (Landkreis Nordvorpommern) auf sechs Kenianer ein und verletzten zwei von ihnen leicht. Sechs der Angreifer sind der Polizei aus der rechten Szene bekannt. Die Jugendlichen hatten die schwarzafrikanischen Männer, die bei einem Zirkus arbeiten, nach der Samstagabendvorstellung angepöbelt und angerempelt. Bei der anschließenden Schlägerei erlitten auch die Angreifer Platzwunden und Prellungen. Die Polizei ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. In der Nacht zum Samstag hat ein Schweriner Richter Haftbefehl wegen Mordes auch gegen den letzten der fünf Männer erlassen, die beschuldigt werden, vor einer Woche in Wismar einen 52-jährigen Obdachlosen erschlagen zu haben. Sie hätten den Mann überfallen, so die Staatsanwaltschaft, um ihm sein Geld abzunehmen. Dabei traten und prügelten sie so heftig auf ihn ein, dass er an seinen Verletzungen starb. Seine Leiche war erst am Mittwoch in einem Abrisshaus entdeckt worden. Die Täter, die durch Hinweise aus der Bevölkerung festgenommen werden konnten, hätten inzwischen ein Geständnis abgelegt. Oberstaatsanwalt Gerrit Schwarz teilte mit, dass die fünf bisher nicht als rechtsextrem aufgefallen seien, es aber bei ihrer Kleidung und bei den Wohnungsdurchsuchungen Hinweise auf einen solchen Hintergrund gegeben habe. Die Tat selbst aber sei nicht ideologisch einzuordnen, sondern aus Habgier begangen worden. Erschreckend sei "die Brutalität", mit der die Täter auf ihr Opfer eingeschlagen hätten. Am Samstag marschierten in Dresden rund 300 NPD-Anhänger durch die Altstadt. Die Polizei verhinderte mit massivem Aufgebot eine Konfrontation mit Gegendemonstranten. Im thüringischen Saalfeld kam es zu einer Schlägerei zwischen rechten und linken Jugendlichen. In Göttingen protestierten am gleichen Tag rund 80 Gruppen gegen Rechtsextremismus. Bundespräsident Johannes Rau zeigte sich gestern besorgt über die Zunahme von Rechtsextremismus in Deutschland. In einem Rundfunkinterview forderte er eine europäische Rechtsordnung, die der Gewalt Einhalt gebiete: "Wir brauchen eine Gesellschaft, die auf Gewalt verächtlich herabsieht." Er appellierte an die Fernsehanstalten, weniger Gewaltszenen zu zeigen. Bundesinnenminister Otto Schily hatte sich am Samstag in Frankfurt an der Oder für eine härtere Verfolgung und Bestrafung von Neonazis ausgesprochen: "Wer Rassismus und Fremdenfeindlichkeit predigt, gehört vor Gericht, und wir werden ihn lehren, was eine demokratische Gesellschaft ist." Antisemiten und Fremdenhassern gehöre "das Handwerk gelegt". Mit "verirrten Jugendlichen" aber müsse diskutiert werden, um sie "wieder auf den richtigen Weg" zu bringen. Schily hatte zuvor von der polnischen Nachbarstadt Slubice aus an dem 2.000-Meter-Lauf "Meile 2000 für Toleranz und Fairplay" über die Grenze auf die Westseite des Flusses teilgenommen. Ähnliche Läufe sollen in den kommenden Wochen in allen Grenzregionen Deutschlands stattfinden. HEIDE PLATEN
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