Badische Zeitung, 18.7.2000 Zell im Wiesental Unterstützer des Freundeskreises Kirchenasyl werden im Fall der kurdischen Familie Sihyürek mit anonymem Brief behelligt Debatte um Asylverfahren nimmt groteske Formen an ZELL (BZ/mm). Die Diskussion um das Asylverfahren für die von der Abschiebung bedrohte kurdische Familie Oruc Sihyürek, deren Bleiben in Deutschland vom Regierungspräsidium Freiburg zumindest einmal bis Mitte Oktober geduldet wird (wir haben gestern berichtet) beginnt groteske Züge anzunehmen. Die beiden Riedicher Almut und Paul Hailperin, die sich im Rahmen der Arbeit des Zeller Freundeskreises Kirchenasyl besonders für die dreiköpfige Familie engagieren, muss sich jetzt mit anonymer Post herumschlagen. Das Engagement der beiden bezeichnet der oder die anonyme Schreiber/in gar als "hirnlos". Der anonyme Brief gipfelt in der Aufforderung, an die beiden Riedicher, aus Deutschland zu verschwinden. Trotz der unverhohlen rechtsradikalen Tendenz, die dem Brief (das Schreiben liegt der Redaktion vor) zu entnehmen ist, sieht Paul Hailperin keinen Anlass, möglicherweise auch rechtliche Schritte gegen den Anonymus einzuleiten. Hailperin möchte vielmehr, dass derlei Geschichten auf möglichst breiter Basis diskutiert werden. "Warum nehmen Sie nicht 20 von denen selber auf und verhalten sie mit allem auf Ihre Kosten? Es gibt Millionen davon! Soll das deutsche Volk noch mehr büßen? Manche Leute haben nur 500 bis 600 DM im Monat, der Staat hängt uns den Brotkorb immer höher, unsere Kinder haben keine sorglose Zukunft und solche Menschen wie Ihr treiben uns in den Ruin!", meint der anonyme Briefschreiber, und weiter: "Euch müsste man als Asylant nach Bosnien Russland od. Türkei schicken". Almut und Paul Hailperin, die das anonyme Schreiben öffentlich gemacht haben, antworten darauf entsprechend: "Sie fühlen sich offensichtlich arm, haben Sorgen um Ihre Kinder, und meinen, wir nehmen Ihnen Brot weg, wenn wir traumatisierte Flüchtlinge unterstützen. Dazu ist zu sagen, dass die allermeisten Asylsuchenden arbeiten möchten. Herr Sihyürek hat gearbeitet, so lang er konnte und sucht jetzt, da die Duldung wieder ausgesprochen wurde, erneut Arbeit. Gerade für ältere Menschen ist es sehr wichtig, dass arbeitswillige junge Ausländer in die Rentenkasse zahlen. Sie stellen die Frage 'Soll das deutsche Volk noch mehr büßen?' Wer soll für was büßen? Heißt das, Sie haben die Nazizeit miterlebt? Zum Glück haben Sie auf jeden Fall die Zeit überlebt. Möchten Sie nicht, dass es anderen leidgeprüften Menschen auch ein klein wenig besser geht? Das noch nicht einjährige Kind dieser krebskranken Mutter hat so oder so keine sorglose Zukunft vor sich. Sie schlagen vor, wohl mehr aus Verärgerung, dass man uns als Asylanten in die Türkei schicken sollte. Falls Sie mitkämen, wäre vielleicht etwas Gutes daran: Da würden wir alle vermutlich mehr Leid kennen lernen, als wir uns jetzt vorstellen können. Zuletzt: Deutschland ist nicht Ihr Privateigentum. Warum sollten wir eher verschwinden als Sie? Wir alle teilen doch das Land, das keiner vom Himmel übereignet bekommen hat. Je eher wir lernen, tolerant mit einander zu leben, desto besser wird es uns allen gehen.
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