Tagesspiegel, 18.7.2000 "Süleyman, der Schlauchmann" Ein türkischer Polizeikommisar wird beschuldigt, Häftlinge zu prügeln. Sein Bekenntnis spaltet die Öffentlichkeit Thomas Seibert Er ist der berüchtigste Polizist der Türkei. Der 45-jährige Istanbuler Kommissar Süleyman Ulusoy gelangte unter dem Spitznamen "Süleyman, der Schlauchmann" zu zweifelhaftem Ruhm, weil er Häftlinge mit Wasserschläuchen verprügelte und sie hin und wieder sogar fragte, ob sie eine bestimmte Farbe wünschten. Die Misshandlungen kamen im Mai bei Nachforschungen einer parlamentarischen Untersuchungskommission ans Licht, weil der "Schlauchmann" von Folteropfern erwähnt wurde; kurz darauf strahlte der Fernsehsender CNN Türk Videoaufnahmen aus, die Ulusoy beim Prügeln zeigten. Danach leiteten die Vorgesetzten eine Untersuchung gegen den Beamten ein, der aus seinem Bezirk entfernt und in den Innendienst versetzt wurde. Der "Schlauchmann" zeigte sich zunächst recht pressescheu und schwang sich bei einem Gerichtstermin sogar aus dem Fenster, um den Reportern zu entkommen. Doch jetzt hat der Kommissar einem Journalisten sein Herz ausgeschüttet - und eine neue Kontroverse ausgelöst. In einer mehrteiligen Serie des Boulevard-Blattes "Sabah" präsentierte sich Ulusoy als aufrechter, tüchtiger und diensteifriger Staatsdiener. Er sei gegen Misshandlungen, sagte der "Schlauchmann" und beklagte, dass er in der Presse als Monster hingestellt worden sei. Die Schläge leugnete er nicht: "Wer viel arbeitet, macht auch viele Fehler." Ihm seien einige Male die Nerven durchgegangen, etwa bei Kinderschändern. "Wie kann ich jemanden willkommen heißen, der kleinen Kindern Schnüffelstoffe verkauft und sie so zu Grunde richtet?" Transsexuelle, Schwule, Straßenkinder und andere Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen sollen ebenfalls zu den Opfern des Kommissars gehört haben. "Er selbst sieht (die Misshandlungen) als Ausführung seines Amtes", so "Sabah". "Ich glaube, es ist das erste Mal, dass sich ein Polizeibeamter, gegen den wegen Misshandlung ermittelt wird, so offen und ohne Gewissensbisse verteidigt", schrieb der Chefredakteur der liberalen Zeitung "Radikal", Mehmet Yilmaz. Es waren aber nicht allein die Rechtfertigungsreden des Kommissars, die heftige Diskussionen auslösten. Zum einen fanden viele, dass "Sabah" merkwürdig viel Verständnis für den Folterer an den Tag lege; die Zeitung verglich den Kommissar sogar mit dem allseits als effizient gelobten Innenminister Sadettin Tantan. Zum anderen meldete sich so mancher honorige Geschäftsmann zu Wort, der dem umstrittenen Kommissar zugute hielt, in seinem Wirkungskreis im Istanbuler Stadtviertel Beyoglu mit seinen Methoden für Ruhe und Ordnung gesorgt zu haben: Ulusoy habe das Viertel "mit dem Knüppel von Pennern gesäubert", kommentierte "Sabah". Der prominente Unternehmer Vitali Hakko sagte dem Blatt sogar: "Wir sind ihm Dank schuldig." Ein anderer fragte: "Gibt es denn eine andere Sprache, die Perverse verstehen?" Das war zu viel für den konservativen Parlamentsabgeordneten Emre Kocaoglu, Mitglied in jenem Ausschuss, der die Untaten der "Schlauchmanns" aufdeckte. "Wenn pathologische Typen wie Süleyman, der Schlauchmann, auch noch Sympathie erfahren, werden positive Beispiele (von Polizeiverhalten) entwertet", erklärte er. Der Chef des türkischen Menschenrechtsvereins, Hüsnü Öndül, verglich Ulusoy mit Hitler. Der Autor der "Schlauchmann"-Serie, Ahmet Vardar, freut sich über den Streit. "Ich wollte eine Diskussion anstoßen", sagt er. Das ist ihm gelungen; seine Zeitung widmete den Reaktionen eine ganze Seite und gab dabei auch den Beschwerden breiten Raum. Es sei ein Fehler, sich bei Themen wie Folter vor einer offenen Debatte zu drücken, sagt Vardar. "Wenn es diese Diskussionen gegeben hätte, würden wir jetzt in einer fortschrittlicheren Türkei leben." Möglicherweise stecken aber nicht nur hehre Motive hinter der Debatte. Schließlich gehören "Sabah" auf der einen sowie "Radikal" und CNN Türk auf der anderen Seite zu konkurrierenden Medienkonzernen. Was immer der wahre Grund für die Aufregung um Kommissar Ulusoy ist: Der 45-Jährige selbst geht weiter seiner Arbeit nach und bildet sich auch fort: Erst vergangene Woche nahm er an einem Seminar teil - zum Thema Menschenrechte.
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