Frankfurter Rundschau 20.7.2000 Arafats Koffer, Clintons kleine Augen und das verschwundene Lächeln von Barak Die Gipfelnächte in Camp David waren für alle lang und ermüdend - zumal ihr Erfolg in den Sternen stand Von Dietmar Ostermann (Washington) Wieder so eine Nacht: Viel gearbeitet, wenig geschlafen und - nichts erreicht? Bis ins Morgengrauen des neunten Tages hinein hat die Gipfelrunde von Camp David am frühen Mittwoch gekreißt. "Sie haben viel gearbeitet und wenig geschlafen", hatte Clinton-Sprecher Joe Lockhart schon am Dienstag die quälenden Nachtsitzungen der Israelis und Palästinenser beschrieben, "sie sind alle ziemlich müde." Auf den wenigen Bildern, die das Weiße Haus von den streng abgeschirmten Dauerverhandlungen in Marylands Catoctin-Bergen veröffentlicht, werden die Augen des US-Präsidenten immer kleiner. Yassir Arafat rutscht jedesmal tiefer in die Stühle, und Ehud Barak ist das fröhliche Schmunzeln vom Auftakt längst abhanden gekommen. Trotzdem schickte Bill Clinton die "härtesten" Verhandlungen, die er nach eigenem Bekunden je erlebt hat, gestern in die Verlängerung: Die Crew vom Präsidentenjet Air Force One, die Clinton am Mittwochmorgen von Washington zum G-8-Gipfel ins japanische Okinawa fliegen sollte, durfte etwas länger schlafen. Der für kurz vor zehn Uhr in der Frühe geplante Abflug wurde zunächst verschoben. Einen weiteren Tag wollte der Gastgeber Arafat und Barak geben, die sich offenbar vor allem in der Jerusalem-Frage festgebissen hatten. Ein Kompromiss ist schwer zu finden, will doch Israel die Hoheit über die ganze Stadt, während die Palästinenser die Souveränität über den Ostteil beanspruchen. Späteren Memoiren wird man entnehmen können, ob es in der Extra-Spielzeit noch um ein umfassendes Abkommen ging oder nur mehr den geordneten Rückzug von den hohen Erwartungen - und diplomatisches Vorgeplänkel für die bei einem Scheitern allfälligen Schuldzuweisungen. Nur wenige Stunden jedenfalls, nachdem die letzten Unterhändler ins Bett gefallen waren, senkte sich am Mittwochmorgen mit schwerem Regen ebenso düsterer Pessimismus über Camp David: Barak, meldete der israelische Rundfunk, plane seine Abreise schon innerhalb von Stunden - und zwar mit seinem gesamten Team aus Ministern, Beratern und anderen Experten. Der Ministerpräsident sei zu dem Schluss gekommen, dass sich die Palästinenser nicht wie ein Friedenspartner verhielten, bestätigte Baraks Büro. Das war harter Tobak, und wenn Bill Clinton zu diesem Zeitpunkt noch im Bett gelegen haben sollte, dann dürften ihn seine Helfer umgehend geweckt haben. Immer öfter hatte der übermüdete US-Präsident offenbar Seelenmassage betreiben müssen, um die Gipfelrunde zusammenzuhalten. Mindestens zweimal soll zuvor Palästinenserpräsident Arafat mit der Heimreise gedroht haben; einmal hätten die Koffer bereits vor der Hütte gestanden, hieß es. Glaubt man den Berichten, die sich freilich alle auf ungesicherte Quellen berufen, dann hatte die Frustration auf beiden Seiten schon am Dienstag einen Höhepunkt erreicht. Arafat soll am Morgen versucht haben, UN-Generalsekretär Kofi Annan anzurufen, um ihm mitzuteilen, die Gespräche seien wegen Jerusalem gescheitert, dessen Altstadt und Ostteil die Palästinenser für sich reklamieren. Bevor die Verbindung zustande gekommen sei, sei Arafat aber zu neuen Gesprächen gerufen worden.
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