Süddeutsche Zeitung, 20.7.2000 Berlin will Bleiberecht für Traumatisierte Von Christina Rathmann Berlin - Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (SPD), und Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) haben ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht für traumatisierte Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und deren Familien gefordert. Bei chronischer Traumatisierung handele es sich um eine präzise zu diagnostizierende Krankheit, sagte Fischer nach einem Gespräch mit Psychiatern, Vertretern von Gesundheitsämtern und von Länderinnenministerien. Es sei davon auszugehen, dass von den 38 000 noch in Deutschland lebenden Flüchtlingen aus der Region etwa 5000 chronisch traumatisiert seien, sagte Beck. Mit deren Familienangehörigen handele es sich um schätzungsweise 15 000 Personen, die einen dauerhaften Aufenthaltsstatus bekommen sollten. Die Innenministerien von Bayern, Baden-Württemberg und Berlin hatten nach Becks Angaben keine Vertreter zu dem Gespräch entsandt. Personen, die unter dem so genannten post-traumatischen Belastungssyndrom leiden, könnten "phasenweise ein ganz normales Leben führen, ihre Psyche und ihr Körper sind aber in ständiger Alarmbereitschaft", sagte Beck. Erinnerungen an traumatische Erlebnisse und kleinste Unregelmäßigkeiten im Alltag könnten zum Zusammenbruch der Menschen führen. Beck und Fischer kritisierten die Härte, mit der in einzelnen Bundesländern traumatisierte Flüchtlinge abgeschoben werden. Als "dunkelstes Beispiel" nannte Fischer das Land Berlin, weil dort fachärztliche Gutachten nicht anerkannt und Betroffene stattdessen zum polizeiärztlichen Dienst vorgeladen würden. Erst durch eine kontinuierliche Beobachtung aber könne das Krankheitsbild attestiert werden, sagte Fischer. Ein Zweitgutachten könne allenfalls von den Gesundheitsämtern erstellt werden. Die Innenminister der Länder haben sich bisher nicht auf eine einheitliche Linie im Umgang mit Traumatisierten geeinigt. Sie hatten sie lediglich als die letzte Personengruppe eingestuft, die abgeschoben werden soll. Insbesondere Bayern hatte darauf verwiesen, dass es auch in Bosnien-Herzegowina Behandlungsmöglichkeiten gebe. Die Ausländerbeauftragte widersprach diesem Argument: "Behandlungsmöglichkeiten sind allenfalls rudimentär vorhanden." Auch sei fraglich, ob die Betroffenen den Ortswechsel verkraften könnten. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte die Länderinnenminister im Mai dazu aufgefordert, traumatisierte Flüchtlinge nicht mehr abzuschieben. Die Innenministerkonferenz wird im November wieder über den Umgang mit Traumatisierten beraten.
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