junge Welt, 20.07.2000 Zahlt Ministerium für Neonazi? Brandenburger Staatsschutz erwägt, Schmerzensgeld für V-Mann Carsten Sz. zu übernehmen Die Beschäftigung des wegen Mordversuchs verurteilten Neonazis Carsten Sz. beim Brandenburger Verfassungsschutz bleibt im Gespräch. Das Brandenburger Innenministerium wird möglicherweise die Schmerzensgeldforderungen für einen Überfall des V-Manns übernehmen. Heiko Homburg, Ministeriumssprecher, erklärte am Mittwoch auf ddp-Anfrage, daß derzeit die Zahlung einer vom Gericht verhängten Summe geprüft werde. Um welchen Betrag es sich dabei handelt, wollte er allerdings nicht sagen. Carsten Sz. hatte 1992 in Wendisch-Rietz im Landkreis Oder-Spree mit acht weiteren Neonazis einen Nigerianer bewußtlos geprügelt und ihn anschließend in den nahegelegenen Scharmützelsee geworfen. Der Afrikaner überlebte nur, weil er von einem Zeugen des Überfalls rechtzeitig aus dem Wasser gezogen werden konnte. Carsten Sz. war für diesen Übergriff 1995 wegen versuchten Mordes zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, später aber vorzeitig entlassen worden. Bereits in der Untersuchungshaft wurde er als V-Mann verpflichtet. Vor zwei Wochen enttarnte ein Bericht des Spiegel den jetzt 29jährigen, der daraufhin vom Verfassungsschutz mit einer neuen Identität versehen wurde. Dem Opfer des Überfalls aus dem Jahr 1992 wurden in einem Zivilprozeß 46 000 Mark Schmerzensgeld und Gerichtskostenerstattung zugesprochen. Wie der Anwalt des Opfers, Christoph Kliesing, in der »Berliner Zeitung« sagte, zahlten bislang erst drei der neun Täter kleinere Geldbeträge. Von Carsten Sz. sei noch nichts gekommen, obwohl er in den vergangenen Jahren vom Verfassungsschutz eine Aufwandsentschädigung von bis zu tausend Mark monatlich für seine »Informantentätigkeit« erhalten haben soll. Zudem koste eine neue Identität einen siebenstelligen Betrag. Dieses Geld soll nach dem Willen des Anwalts zum Teil für das Überfallopfer gepfändet werden. Um den militanten Neonazikader in den Dienst des Verfassungsschutzes zu nehmen, hatte es der Rückendeckung von oben bedurft. Der damalige Innenminister Alwin Ziel (SPD) hatte die Anwerbung genehmigt. Auch sein Nachfolger Jörg Schönbohm fand die Sache wenig problematisch, weil die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) kontinuierlich informiert worden sei. Dort hatte es offenbar keine kritischen Stimmen gegeben. Selbst Michael Schumann, PDS-Landtagsabgeordneter und Mitglied der Potsdamer PKK, hatte 1995 der Verpflichtung des Neonazis für den Staatsschutz zugestimmt und dieses Verhalten nun nach Bekanntwerden erneut gerechtfertigt. Die Verwendung einer »solch hochproblematischen Quelle« sei eine »absolute Ausnahme«. Auch die PDS-Landtagsfraktion, so Lothar Bisky gegenüber dem »Neuen Deutschland«, stellte sich »voll hinter Schumann«. Der Westberliner Carsten Sz. führte in Königs Wusterhausen ein Geschäft mit Büchern, CDs und Kassetten. Ein Mitglied der PDS Königs Wusterhausen berichtete in der vergangenen Woche gegenüber junge Welt, Carsten Sz. habe eine »Führungsfunktion beim Aufbau der rechten Szene« in Brandenburg gehabt. Seit Anfang der 90er Jahre hatte er Kontakt mit dem Ku-Klux-Klan, außerdem soll er ein Freund des Neonazis und Polizistenmörders Kay Diesner sein. Zeitweise vertrat Carsten Sz. zudem eine deutsche Abspaltung der britischen Neonazi-Terrorgruppe »Combat 18«. Anke Fuchs
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