Die Welt, 20.7.2000 "Auch über das Asylrecht reden" Die Vorsitzende der neuen Zuwanderungskommission der Bundesregierung Rita Süssmuth im WELT-Gespräch Berlin - Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) ist Vorsitzende der neuen Zuwanderungskommission der Bundesregierung. Im WELT-Gespräch beschreibt sie ihre Ziele. Mit Rita Süssmuth sprachen Roland Nelles und Armin Fuhrer. DIE WELT: Frau Süssmuth, wird Deutschland bald ein Einwanderungsgesetz haben? Rita Süssmuth: In der Kommission werden wir uns mit der Frage auseinander setzen, wie die Zuwanderung in Zukunft geregelt werden kann. Die Kommission wird am Ende Empfehlungen aussprechen, sie macht kein Gesetz. Das ist Aufgabe des Parlaments. DIE WELT: Bundeskanzler Schröder wünscht sich, dass es bis 2002 ein solches Gesetz gibt. Ist dieser Zeitrahmen realistisch? Süssmuth: Unsere Arbeit muss rechtzeitig beendet sein, damit Regierung und Parlament in dieser Legislaturperiode noch ausreichend Zeit haben zu entscheiden, ob sie ein Gesetz haben wollen oder nicht. Für uns bedeutet dies, dass wir intensiv arbeiten müssen. Die Kommission wird kein Bremsklotz sein für ein Problem, dass dringend geregelt werden muss. Jedes Kommissionsmitglied wird engagiert bei der Sache sein. DIE WELT: Glauben Sie, dass es in der Bevölkerung Zustimmung für ein Zuwanderungsgesetz gibt? Süssmuth: Ja. Aber es gibt mit Sicherheit auch Ängste in Deutschland. Das sind Ängste um den eigenen Arbeitsplatz oder um den Arbeitsplatz der Kinder. Das müssen wir ernst nehmen. Wir müssen erklären, worum es bei der Zuwanderung geht. Nämlich dass Zuwanderer zum Beispiel durch ihr Wissen und Können auch Arbeitsplätze bei uns schaffen und sichern helfen. An diesem Aufklärungsprozess müssen sich alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen beteiligen: die Politik, die Wirtschaft, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Medien. Wenn wir die Bürger mit der Zuwanderungsfrage allein lassen und sie nicht mitnehmen, kapseln sie sich ab, und es entstehen neue Ressentiments und Spannungen. DIE WELT: Wird sich Ihre Kommission auch mit der Frage beschäftigen, ob das Asylrecht neu geregelt werden muss? Süssmuth: In dem Arbeitsauftrag der Kommission ist das Thema weder vorgegeben noch von vornherein ausgenommen. Es darf meiner Ansicht nach auch nicht ausgeklammert werden. Wenn man sich allein die Dauer der Verfahren heute anschaut, ist dies sowohl für die Antragssteller als auch für die Integration problematisch. Wir müssen diesen Problemen ernsthaft nachgehen. In welcher Form das Thema zur Sprache kommt, ist allerdings eine Entscheidung der ganzen Kommission. Dies kann ich nicht vorweg bestimmen. DIE WELT: Bundespräsident Johannes Rau will, dass das Asylrecht bei der Diskussion über das Zuwanderungsgesetz nicht angetastet wird. Dies fordern auch die Grünen und Teile der SPD. Ist dies für Sie maßgeblich? Süssmuth: Der Bundespräsident hat seine Position hier sehr klargemacht. Er warnt zu Recht öffentlich davor, die Asyl Suchenden gegen die für unser Land erforderlichen Experten und Fachkräfte auszuspielen. In der Kommission wird es zu dieser Frage möglicherweise unterschiedliche Ansichten geben. Außer Frage steht, dass wir eine humanitäre Rechtsverpflichtung haben, die Genfer Flüchtlingskonvention einzuhalten. DIE WELT: Sie wollen also keine "Brandmauer" um das Asylrecht errichten? Süssmuth: Der Schutz des Asylrechts schließt doch nicht von vornherein die Auseinandersetzung mit Verfahrensfragen aus. Wir sind auf diesem Gebiet auch Lernende. Wir müssen unsere Grundsätze wahren, aber auch offen sein für Weiterdenken und Verfahrensverbesserungen. Doch über alles dies entscheidet die Kommission. DIE WELT: Halten Sie es für falsch, dass sich Ihre eigene Partei weigert, an der Kommission mitzuarbeiten? Süssmuth: Ich glaube, dass an der Lösung dieser wichtigen gesellschaftspolitischen Frage der Zuwanderung alle gesellschaftlichen Gruppen und Parteien mitwirken sollten. Die CDU hat ihre eigene Kommission gegründet, die einen Beitrag zu der Diskussion leisten wird. Ich werde deren Arbeit mit Interesse verfolgen und auch den Kontakt suchen. Ich hoffe, dass wir am Ende dieses Diskussionsprozesses ein Ergebnis haben, das von einer breiten Mehrheit aller demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen mitgetragen wird. DIE WELT: In Ihrer eigenen Partei hat Ihnen die Mitwirkung an der Kommission der Bundesregierung viel Kritik eingebracht. Fühlen Sie sich in der Union isoliert? Süssmuth: Nein. Ich bin und bleibe CDU-Mitglied und fühle mich meiner Partei zugehörig. Niemand kann mich daran hindern, als Demokratin Aufgaben wahrzunehmen, die für uns alle wichtig sind. Eine Partei ist schlecht beraten, wenn sie Mitglieder ausgrenzt, die demokratische Prinzipien vertreten. Ich wünsche mir, dass durch die Zusammensetzung und durch die Arbeit der Zuwanderungskommission auch Vorbehalte in meiner eigenen Partei gegen dieses Gremium abgebaut werden. Das schroffe Nein in der Union zu dieser Kommission sollte sich relativieren. DIE WELT: Ihre Partei wirft Ihnen vor, Sie seien naiv, weil Kanzler Schröder Ihre Nominierung für den Vorsitz der Kommission nur dazu nutze, um Streit in die Union zu tragen. Sind Sie auf ein taktisches Manöver der Regierung hereingefallen? Süssmuth: Ich habe mir nicht den Kopf über Taktik zu zerbrechen, sondern über die Aufgabe, die vor mir liegt. Die ist wichtiger, als irgendwelche taktischen Spielchen es sein könnten.
|