Frankfurter Rundschau 21.7.2000 Scheitern in Camp David wäre nicht das Scheitern Arafats Der Palästinenserchef würde auch ohne Abkommen als Held gefeiert, Premier Barak dagegen braucht einen Erfolg Von Inge Günther (Jerusalem) Eines haben PLO-Führer Yassir Arafat und Israels Premier Ehud Barak im Verhandlungspoker in Camp David bislang bewiesen: Sie verstehen sich aufs Bluffen. Nach palästinensischer Lesart könnte Arafat dem israelischen Regierungschef gar noch ein paar Tricks beibringen wie sich das Inszenieren von Krisen vorteilhaft gestalten lässt. Im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen müsste zwar auch Arafat mit leeren Händen heimkehren. Aber innenpolitisch könnte er als "standhafter Held" punkten. "Seine Popularität würde einen enormen Aufschwung erleben", prognostiziert Marwan Barghouti, Westbank-Chef des PLO-Mehrheitsflügels Fatah. Und das zum eindeutigen Nachteil der fundamentalischen Opposition. Die, so Barghouti, wäre dann in "ziemlich schwieriger Position". Ihre Unkenrufe, dass Arafat sich in Camp David zu einer "Friedenskapitulation" zwingen lasse, hätten sich als voreilig erwiesen. Der Fatah-Chef jedenfalls glaubt nicht an ein "Einknicken" des Idols. Arafat verhandle schließlich über "seine eigene Geschichte, seinen 40-jährigen Kampf um Befreiung. Er hat jedem versprochen, eines Tages wieder in Jerusalem beten zu können". Schon das verlange unbedingtes Festhalten an der Forderung nach Souveränität im Ostteil der Stadt. Die palästinensische Mehrheit hegt Zweifel. Einer jüngst vom Ost-Jerusalemer Zentrum für Medien und Kommunikation veröffentlichten Umfrage zufolge sind 54 Prozent der Bewohner aus Gaza und Westbank "besorgt" über die Verhandlungsführung des Arafat-Teams. Denn das palästinensische Mantra gilt als unantastbar: "Kein Frieden ohne hundertprozentige Erfüllung unserer Rechte." An einen Vertrag, der dies nicht gewährleiste, hieß es in einer von tausenden unterzeichneten Petition, werde sich das Volk nicht gebunden fühlen. Barghouti drückt es konkreter aus. "Arafat kann einfach kein Abkommen vermarkten, das zuviel Abstriche enthält." Ist damit die Tür für jeden denkbaren Kompromiss zu? Nicht ganz. Die Palästinenser hoffen darauf, dass während des Countdowns zum 13. September, dem Ende der Interimsperiode und möglichen Beginn ihrer staatlichen Unabhängigkeit, die israelischen Tabus sich weiter knacken lassen. In der ersten Gipfelrunde, lautet ihr Kalkül, würden die Israelis ohnehin nicht ihr weitmöglichstes Entgegenkommen offenbaren. Das könnte sich als Fehleinschätzung erweisen. Anders als Arafat muss Barak irgendeine Vereinbarung vorweisen können, um nicht innenpolitisch als Versager dazustehen. Die rechte Opposition in Israel würde zwar erleichtert aufatmen, wäre Camp David am Ende ein Misserfolg. Doch würde sie kaum Barak die dort vorgelegten Kompromiss-Angebote verzeihen, aus ihrer Sicht die weitestgehenden, zu denen je ein israelischer Premier bereit war. So oder so, mit Abkommen oder ohne, richtet sich der oppositionelle Likud auf einen Frontalangriff ein. Barak sei dabei, tönt dessen Abgeordnete Limor Livnat, "aus Jerusalem ein zweites Belfast zu machen". Selbst wenn Likud-Chef Ariel Scharon im Falle eines Scheiterns des Gipfels über eine Einheits-Regierung mit sich reden lässt, muss mit erheblichem Widerstand an der konservativen Basis gerechnet werden. Der Premier braucht einen Erfolg in Camp David, um daheim in die Offensive, sprich: Referendum plus Neuwahlen, gehen zu können. Die Fortsetzung der Gespräche ist mithin für das israelische Friedenslager ein Strohhalm der Hoffnung. Barak selbst soll seine missliche Lage Arafat drastisch verdeutlicht haben: "Ich kann zu einem anderen Gipfeltreffen wieder kommen", ließ er ihm der Zeitung Yediot Achronoth zufolge mitteilen. "Aber vielleicht bin ich dann nicht mehr Ministerpräsident."
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