Tagesspiegel, 22.7.2000 Zuwanderung Rita Süssmuth im Interview: "Ich werde wieder freundlicher gegrüßt" Die ehemalige Bundestagspräsidentin sieht in ihrer Arbeit als Kommissionschefin keinen Verrat an der CDU Rita Süssmuth (63), ehemalige Bundestagspräsidentin, wird die Zuwanderungskommission der Bundesregierung leiten. Die Professorin für Erziehungswissenschaften sitzt seit 1987 für die CDU im Bundestag. Frau Süssmuth, werden Sie auf den Gängen der Unionsfraktion eigentlich noch gegrüßt? Ich werde noch gegrüßt und werde auch wieder freundlicher gegrüßt. Es hat beträchtliche Spannungen in Ihrer Partei gegeben. Das war ja nicht das erste Mal. Waren diese Auseinandersetzungen besonders scharf? Beim Paragraphen 218 war die inhaltliche Seite sehr viel schärfer. Jetzt ging es ja nicht um den Inhalt. Der Kritiker Schönbohm hat gesagt, dass er meine Position gar nicht kennt. Ihr Parteikollege Heiner Geißler hat von Mobbing der Partei Ihnen gegenüber gesprochen. Dabei ging es nicht um die Sache? Es ging darum, dass es eine von der Regierung eingesetzte unabhängige Kommission ist. Bei einem anderen Thema wäre es vielleicht weniger kontrovers verlaufen. Warum ist dieses Thema so kontrovers für Ihre Partei? Es ist in mehrfacher Hinsicht für die Union ein Positionswechsel. Bevor Herr Bosbach sein Diskussionspapier zu Einwanderungsfragen vorgelegt hat, ist immer strikt gesagt worden, wir brauchen und wollen kein Einwanderungsgesetz. Das schafft uns noch mehr Probleme als wir schon haben, wir sind kein Einwanderungsland, hieß es dann. Hinzu kam, dass wir nicht wussten, wie wir denn das Zuwanderungsproblem mit der hohen Zahl von Asylsuchenden, Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen und Aussiedlern lösen sollten. Wie kam es denn zu so einer Neuorientierung in Ihrer Partei? Ein Auslöser war die Äußerung von Bundeskanzler Schröder auf der CeBit in Hannover, verbunden mit dem Stichwort Green Card für die Zuwanderung von Computerfachkräften. Das hat zunächst mal zu der Diskussion geführt, ob wir überhaupt diese so genannte Green Card für einen Lösungsansatz halten. Zu klären war, ob wir die Zuwanderung von Fachkräften für erforderlich halten und mit welchem Instrument gearbeitet werden sollte. Parallel beschäftigte uns natürlich die Zahl der arbeitslosen Computerfachkräfte in Deutschland. Warum braucht die CDU, sonst mit einem guten Draht zur Wirtschaft, eine Bemerkung des SPD-Kanzlers, um auf das Thema Green Card gestoßen zu werden? In der Diskussion der vergangenen Jahre ging es immer um den Ausländeranteil und die Zahl der Arbeitslosen. Also immer darum, wie viele Ausländer wir integrieren können. Diese Diskussion ist noch keineswegs abgeschlossen. Es gibt Ängste in der Bevölkerung, wenn Arbeitskräfte von außen hinzu kommen, und die Menschen sehen, mein Sohn, meine Tochter sind arbeitslos. Ich sehe das als einen Grund für die Ablehnung ausländischer Zuwanderer. Ein anderer ist die sinkende Integration von Ausländern. Liegt das an der mangelnden Bereitschaft der hier lebenden Ausländer oder ist das mangelndes Entgegenkommen der Regierung? Politisch haben wir die Integration zu spät zum Thema gemacht und zu spät konkrete Maßnahmen ergriffen. Es gibt auch eine mangelnde Integrationsbereitschaft bei Ausländern, die in ihrem eigenen kulturellen Milieu verbleiben und von sich aus keine ausreichenden Anstrengungen unternehmen, zum Beispiel die Sprache zu lernen. In dem Integrationspapier der CDU verlangen wir deshalb, dass die Menschen Sprachkurse wahrnehmen und diese auch nachweisen müssen. Wir haben in den letzten Jahren verstärkt gelernt, wie bisher können wir nicht weitermachen. Wir müssen Integration fördern und einfordern. Integration heißt nicht Assimilation, heißt nicht Aufgabe der eigenen Kultur und Identität. Es gibt seit der Green-Card-Initiative einen Unterschied zwischen erwünschter und unerwünschter Zuwanderung. Können Sie in der Kommission das Asylrecht des Grundgesetzes unberührt lassen? Der Auftrag der Kommission sieht vor, dass keinem Thema ausgewichen wird. Was auf den Tisch kommt, müssen wir gemeinsam in der Kommission entscheiden. Ich fände es nicht vertretbar, diese Entscheidung vorweg zu nehmen. Das ist Aufgabe der Kommission. Für mich ist es jedoch eindeutig, dass die humanitären Gründe ebenso verpflichtend sind wie unserer eigenen Interessen. Und es gibt Bedarf und Notwendigkeiten, sowohl von der Wissenschaft als auch von der Wirtschaft her. Das sind zwei verschiedene Ebenen. Ich finde es völlig legitim, dass man dieses ausspricht. Es wäre meines Erachtens eine Irreführung, wenn wir unsere Interessen leugnen würden. Wo Menschen politisch verfolgt werden oder von Gewalt und Tod durch Krieg bedroht sind, da muss unsere Hilfe aber so selbstverständlich sein, wie unser Verhalten positiv ist gegenüber denen, die wir ins Land holen, weil wir sie brauchen. Heißt das, dass Sie Artikel 16a des Grundgesetzes unverändert lassen wollen? Wir haben nicht den Auftrag, den Artikel 16 abzuschaffen. Aber unser Auftrag ist, die Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Formen der Zuwanderung und der Zuwanderer zu sehen und uns die Verfahren anzuschauen. Alle Facetten sind zu berücksichtigen, einschließlich des europäischen Kontextes. Es muss alles durchdacht und durchdiskutiert werden. In der CDU ist der Gedanke populär, dass verschiedene Gruppen von Ausländern über Quoten gegeneinander verrechnet werden. Ist das ein Gegenstand der Kommission? Gewiss ein Gegenstand, aber ein komplizierter, wo man sich Erfahrungen anderer Länder zu eigen machen muss. Wie sie rechnen, nach welchen Kriterien die Quoten aufgestellt werden, in welchen Abständen und ob sie dafür Kommissionen haben. Sie haben eben schon den internationalen Vergleich angesprochen. Kann es sein, dass Ihre Kommission gar nicht so schnell arbeiten kann wie Europa zu einer gemeinsamen Lösung kommen muss? Wenn die EU schneller ist, als bisher, kann ich das nur begrüßen. Nach den bisherigen Bedenken gegenüber einer europäischen Lösung ist positiv zu bewerten, dass EU-Kommissar Vitorino in Kürze einen Entwurf vorlegen will. In Brüssel hört man des Öfteren, dass die EU die Mauern noch höher ziehen sollte. Halten Sie es für einen gangbaren Weg, dass sich Europa, noch mehr abschottet? Angesichts der weltweiten Migration und der Millionen von Flüchtlingen, die in den Regionen um die Krisenherde selbst verbleiben, ist das Wichtigste, den Menschen dort zu helfen, die in Bedrängnis sind. Eine "Mauer" würde das Problem nicht lösen. Die große Zahl der illegalen Zuwanderer würde trotzdem versuchen, sie zu überwinden. Ihr ganzen Positionen haben mit denen von Bosbach und der CDU nichts zu tun. Wie halten Sie es da in der Partei aus? Ich kenne das Bosbach-Papier sehr gut und weiß auch, welche Diskussionen es in den eigenen Reihen ausgelöst hat. Das Bosbach-Papier stellt gegenüber früheren Positionen erstens klar, dass es notwendig ist, die Zuwanderung zu regeln. Es geht davon aus, dass wir faktisch ein Einwanderungsland sind. Als ich das 1994 sagte, bin ich auf heftigsten Widerstand in unserer Führung gestoßen. Ich sehe mich in diesen Punkten nicht im Gegensatz zu Bosbach. Er stellt sehr klar die Fragen, für die zunächst Antworten noch gefunden werden müssen. Die Union sieht Ihre Berufung zur Vorsitzenden dieser Kommission dennoch als Verrat an. Die Mitwirkung an einer Sachverständigenkommission ist kein Verrat an der CDU. Es geht in der Kommission um eine der zentralen gesellschaftspolitischen Aufgaben, die wir zu lösen haben. Wir können es nicht verantworten, daran nicht mitzuwirken. Ich spreche aber in der Kommission nicht für die CDU. Das ist eine Sachverständigenkommission und als Vorsitzende haben ich in erster Linie zu moderieren, zu bündeln, zu organisieren, und dafür zu sorgen, dass alle Gesichtspunkte beachtet und Problemlösungen gefunden werden. Haben Sie eigentlich lange überlegt, als Herr Schily Sie fragte? Natürlich habe ich überlegt, das Für und Wider abgewogen und bin dann zu dem Schluss gekommen, das ist eine so wichtige Aufgabe für unser Land, dass sie nur gemeinsam geleistet werden kann. Das Gespräch führten Ulrike Fokken und Tissy Bruns
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