junge Welt 24.07.2000 Einladung zum Vorortbesuch PKK-Präsidialrat weist Anschuldigungen zurück. Kritikern Recherche in Südkurdistan angeboten In einer Stellungnahme hat sich die PKK an diejenigen Personen aus deutschen Kurdistangruppen sowie Nichtregierungsorganisationen und Parteien gewandt, die sich mit einem offenen Brief gegen angebliche Inhaftierungen und drohende Todesstrafen ausgesprochen hatten (jW berichtete). Aus der Erklärung vom vergangenen Freitag geht hervor, daß sich die gefangenen Personen nicht in PKK-Haft befinden. Vielmehr weist der Präsidialrat der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) darauf hin, daß sich eine »Gruppe von 20 Personen ... aus unseren Reihen entfernt« habe. Die Gruppe sei bereits am 19. Mai, geführt von »zwei Personen, deren Eigenschaften und Persönlichkeiten uns wohlbekannt sind«, zur Patriotischen Union Kurdistans, PUK, übergelaufen. Gemeint ist dabei unter anderem Sait Cürükkaya, Bruder des auch in Deutschland bekannten PKK-Kritikers Selim Cürükkaya. Hintergrund der Vorgänge ist offenbar eine politisch- ideologische Differenz zwischen kurdischen Institutionen und Personen einerseits und der PKK andererseits über den neuen Weg der Partei. Auch auf dem 7. Parteikongreß waren kritische Stimmen laut geworden, was aber nicht verhinderte, daß seitens der Delegierten Programm und Struktur mit großer Mehrheit erneuert wurden; damit ist der neue Weg bestätigt. Die Kritik kommt vor allem von nationalistischen kurdischen Stimmen, die die Absage an den bewaffneten Kampf gegen die türkische Armee, die Absage an die Gründung eines kurdischen unabhängigen Staates im Mittleren Osten sowie die politisch-historische Einschätzung, auf der diese Entscheidung basiert, ablehnen. Ob die PKK-Kritiker, die unter Führung von Sait Cürükkaya ihre frühere Partei verließen, bei einer der südkurdischen Organisationen wie PUK oder KDP ihre Vorstellungen umsetzen können, ist mehr als fraglich. Auch der ehemalige PKK-Kommandant Zeki Sadik nahm Anfang 1998 den Weg zur KDP des Masud Barzani und landete schließlich, »entführt« von einem türkischen Sonderkommando, im Gefängnis. Sadik machte während seines Prozesses umfangreiche Aussagen gegen die PKK und hofft auf eine milde Bestrafung im Rahmen des türkischen »Reuegesetzes«. Sowohl die KDP als auch die PUK verweigern seit Jahren hartnäckig Gespräche mit der PKK über eine politische Föderation der Kurden. Sie reisen zu regelmäßigen Treffen nach Washington, um sich von ihren US-amerikanischen Geldgebern beraten zu lassen. Beide Organisationen unterhalten Büros in Ankara. Ihre - mal mehr, mal weniger - enge Zusammenarbeit mit dem türkischen Militär im Nordirak ist international kein Geheimnis. Für die PKK ist der Vorwurf, man hielte Andersdenkende gefangen und drohe ihnen mit der Todesstrafe, wie es in dem offenen Brief deutscher Kritiker zu lesen war, Teil einer umfassenden »Desinformations- und Verleumdungskampagne«, die sowohl in Südkurdistan als auch in der Türkei und Europa stattfinde. Ziel der Kampagne sei es, das Friedensprojekt der PKK zu Fall zu bringen. Die Behauptungen entsprächen »in keiner Weise der Wahrheit«, heißt es weiter. Bereits in der Erklärung vom 15. Juli hatte die PKK darauf hingewiesen, daß die PUK zusammen mit der Demokratischen Partei Kurdistans, KDP, offensichtlich Angriffe gegen die Stellungen der PKK in Südkurdistan (Nordirak) vorbereite. Offenbar unbeeindruckt von dieser kritischen Zuspitzung der Situation in Südkurdistan hatten die deutschen Kritiker und Kritikerinnen ihren offenen Brief an die Parteiführung der PKK verfaßt. Der Bundestagsabgeordnete der PDS Carsten Hübner legte mit einer Erklärung vom 20. Juli nach: Der Präsidialrat solle »antworten, statt zu diffamieren«, forderte der Abgeordnete zusammen mit seiner Parteikollegin Ulla Jelpke. Die erste Antwort des PKK-Präsidialrates (dokumentiert in jW vom 19. 7. 2000) sei »ungenügend und in einem inakzeptablen Ton«. Hübner und Jelpke weisen darauf hin, daß die betroffenen kurdischen Angehörigen bereits Rechtsanwälte sowie das Rote Kreuz eingeschaltet hätten. Auch die Sprecherin des Menschenrechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Claudia Roth, hatte sich der Reihe der deutschen Kritiker angeschlossen und von der PKK Aufklärung gefordert: »Glaubwürdigkeit zeigt sich aber immer im Umgang mit Andersdenkenden. Ich erwarte insofern von der PKK Offenheit und die Einhaltung der Menschenrechte sowie der Rechtsstaatlichkeit ...«, heißt es in dem Schreiben. In verschiedenen Erklärungen haben sich inzwischen Personen zu Wort gemeldet, die auf der Liste der angeblichen PKK-Gefangenen stehen. Auch Zübeyde Ersöz, Mitglied im Zentralkomitee der PJKK, die eng mit der PKK zusammenarbeitet, wies in einer Stellungnahme im kurdischen Fernsehsender Medya-TV scharf die Vorwürfe zurück: »Die Drahtzieher (dieser Angriffe), die zeitweise von inneren und äußeren Kräften unterstützt wurden, (...) beabsichtigen, einen Keil zwischen die Führung und die Organisation zu treiben ...«, heißt es in einer unter anderem von der Solidaritätsorganisation YEK-KOM verbreiteten Erklärung. Cemil Bayik, Mitglied im Präsidalrat der PKK, hat sich ebenfalls in einer Diskussionsrunde im kurdischen Medya-TV (16. 7. 2000) geäußert. Für ihn gehören die kurdischen Quellen, die über PKK-Gefangene und angeblich bevorstehende Todesstrafen berichten, zu Instrumenten eines langjährigen Spezialkrieges gegen die Existenz der PKK. Ziel sei, »sicherzustellen, daß die PKK ineffektiv ist, sie zu liquidieren und, wenn man das nicht schafft, zu marginalisieren«. Erneut werde versucht, eine kurdische Einheit und politische Gespräche zwischen den verschiedenen kurdischen Parteien durch vielfältige Gerüchte zu zerstören. Bayik kritisierte scharf die KDP und PUK, die sich mit ihren militärischen Angriffen gegen die PKK zum Werkzeug der Interessen z. B. der USA, Großbritanniens oder anderer machten. Die PKK wolle den Frieden, doch werde man »auf den Tod nicht wie die Opferlämmer warten«. Schließlich sei es die PKK gewesen, die eine Atmosphäre der Entspannung geschaffen habe, sie müsse respektiert werden. In seiner neuesten Erklärung vom 21. Juli lädt der PKK- Präsidialrat nun »alle nach Südkurdistan ein, die den >Wahrheitsgehalt< der gegen unsere Partei geführten Verleumdungskampagne überprüfen möchten!« Die besorgten Bundestagsabgeordneten und Menschenrechtler, die den offenen Brief unterzeichnet haben, können nun die Sommerpause nutzen, um zu klären, ob und wie ein solcher Besuch trotz der »fürsorglichen Belagerung« der PKK-Lager durch die südkurdischen Parteien und des türkischen Militärs möglich sein kann. Karin Leukefeld
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