Berliner Zeitung, 25.07.2000 Trutz und Schutz unter dem Holzkreuz In Krefeld bietet eine Alt-Katholische Gemeinde einer kurdischen Familie Asyl - jetzt sollen die Flüchtlinge aus der Kirche geholt und abgeschoben werden Sead Husic KREFELD, im Juli. Es ist erst ein paar Tage her, dass Pfarrer Cornelius Schmidt die Tür zu seiner Kirche von einem Schreiner verstärken ließ. Sicherheitshalber bewacht er die Tür dennoch persönlich, im Schichtdienst zusammen mit Mitgliedern seiner Gemeinde. Vierundzwanzig Stunden am Tag. Niemand kann sich unbemerkt der Kirche nähern, sagt Pfarrer Schmidt. Er scheint auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Die Kirche "Erscheinung Christi" der Alt-Katholischen Gemeinde in Krefeld ist eine feste Burg. Über der Eingangstür hängt eine Kamera, genauso wie im Altarraum. Der Pfarrer will, dass ihm nichts entgeht, was in der Kirche geschieht. Und er will vorbereitet sein. "Durch die gepanzerten Türen kommt die Polizei oder sonstwer höchstens mit einer Flex oder einer Haftmiene", sagt Schmidt. Er erwartet einen Angriff und hofft doch, dass es nicht zu der Konfrontation mit den Behörden der Stadt kommt. Die Anmeldung Seit dem 20. Juni gewährt Cornelius Schmidt der sechsköpfigen, kurdischen Familie Manaz Kirchenasyl. Um die rechtliche Situation der Familie zu verbessern, meldete er Sultan Manaz und ihre fünf Kinder offiziell bei den Behörden an. Doch ausgerechnet diese Anmeldung ist nun der Grund dafür, dass der Pfarrer Angst hat, dass die Krefelder Behörden seine Schützlinge mit Polizeigewalt aus dem Kirchenasyl holen und dann abschieben. Die Stadt Krefeld, hat Ordnungsamtsleiter Helmut Drüggen erklärt, müsse die Abschiebung vollstrecken, weil die Kirche nach der Anmeldung der Familie Manaz zu einer Wohnung geworden und somit kein sakraler Raum mehr sei. Sollte Sultan Manaz mit ihren Kindern unter dem Holzkreuz von Beamten weggezerrt werden, will Pfarrer Schmidt das auf Film gebannt wissen und es dann veröffentlichen. Es ist erst einmal in der Geschichte der Bundesrepublik vorgekommen, dass Flüchtlinge aus einem Kirchenasyl abgeschoben wurden. An der Eingangstür zum Kirchenraum hängt ein Plakat mit Unterschriften. "Viel Glück Ihr Lieben" steht darauf. Sultan Manaz hockt an einem Tisch hinter den Gebetsbänken und schmiert Wurstbrote. Cornelius Schmidt sitzt ihr gegenüber auf einer Kirchenbank. Gemeinschaft werde groß geschrieben in der Alt-Katholischen Kirche, sagt der Pfarrer. "Wir sind auch nicht viele. Nur 25 000 gläubige Alt-Katholiken gibt es in ganz Deutschland. Wir erkennen den Papst und seine Unfehlbarkeit nicht an, und unsere Priester dürfen heiraten." In der Kirche ist viel Platz, aber doch zu wenig Raum für Kinder, die nicht eingesperrt sein wollen. Sevgi, die zweitälteste Tochter der Familie Manaz, ist sechzehn. "Ich fühlte mich doch schon wie eine Kartoffel", sagt sie. Es ist ein Scherz. Mit dem Wort von der "Kartoffel" meint sie, dass sie sich als Deutsche fühle. Sevgi kann es nicht glauben, dass sie Krefeld verlassen soll; sie war vier, als sie nach Deutschland kam. Als sie vor einigen Wochen aus einem Brief der Behörden erfuhr, dass sie, ihre Mutter, ihre drei Schwestern und ihr kleiner Bruder am 20. Juni aus Deutschland abgeschoben werden sollten, fühlte sie sich, "als ob man mitgeteilt bekommt, an diesem Tage sterben zu müssen". Sevgi spricht mit dem Akzent des Ruhrgebiets, ihre Worte und das laute Gezänk ihrer Geschwister hallen im Kirchengewölbe wider. Zwölf Jahre lang lief das Asylverfahren der Familie Manaz beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Vor acht Monaten wurde dann entschieden, dass die Familie kein Recht auf Asyl in der Bundesrepublik hat. In den zwölf Jahren wurden aus den kurdischen Kindern Deutsche. Die elf Jahre alte Besey kam in Krefeld zur Welt, zwei Jahre später folgte ihr Bruder Hüseyin. Besey redet nicht von der Abschiebung, sie sagt, sie werde nach den Sommerferien in die sechste Klasse der Realschule gehen. Das wäre in drei Wochen, wenn die Schulferien in Nordrhein-Westfalen zu Ende sind. Den letzten Schulausflug in den Moerser Freizeitpark konnte sie nicht mitmachen, weil die Nachricht von der Abschiebung in der letzten Schulwoche kam und sie mit ihrer Familie in die Kirche flüchtete. Klassenkameraden haben für Besey das Plakat gemalt, das an der Kirchentür klebt. Es erinnert die Kinder daran, dass draußen Freunde sind. Informationen der Polizei Auch Hüseyin, der neun Jahre alte Sohn, hätte mit seiner Klasse einen Ausflug machen sollen. "Drei Tage nach Herungen", sagt er und zeigt die Zahl Drei mit seinen Fingern an. Auch die vierzehn Jahre alte Elif erzählt von verpassten Abenteuern. Sie wollte beim Schullauf und dem anschließendem Grillen in ihrer Hauptschule dabei sein. Stattdessen musste sie sich an die Notunterkunft in der Kirche gewöhnen. Und an ein Leben im Ausnahmezustand. Seit der Entscheidung der Kirche für die Familie Manaz stehen sich der Pfarrer und die Behörden der Stadt Krefeld unversöhnlich gegenüber. "Niemand der Verantwortlichen ist bisher gekommen, um mit den Menschen zu sprechen, über die man entscheidet", sagt Schmidt. Unmenschlich sei dies. Pfarrer Schmidt hat nur noch eine Hoffnung. Er sagt, er habe gehört, dass die Krefelder Polizei intern entschieden habe, die Kirche auf keinen Fall zu räumen. "Die wollen sich nicht als Kinderschreck vorführen lassen", sagt Cornelius Schmidt. Aber er weiß auch, dass Polizisten auf Anordnungen handeln. Handeln müssen. Dann sagt der Geistliche, das Kirchenasyl könne nicht die letzte Lösung sein. Sein Ziel bleibe es, für die kurdische Familie ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu erwirken. Im Aufenthaltsraum des Pfarrhauses steht ein Kicker. Hatice ist die beste Spielerin und deshalb Hüseyins Lieblingsschwester. Mit einer schnellen Drehbewegung aus dem Handgelenk befördert Hatice den Ball ins Tor. Dabei lächelt sie ihren Gegner Ulf, den nur wenig älteren Pfarrerssohn, überlegen an. "Für ein Mädchen nicht schlecht", sagt Ulf, er weiß, dass sie diesen Spruch hasst. Hüseyin schaut seiner 17 Jahre alten Schwester bewundernd zu. Er macht den Eindruck eines unbeschwerten Jungen. Dann erzählt er von seiner Angst und seinen Albträumen. "Sie kommen nachts und bringen uns weg. Das ist grausig", beschreibt er seine Träume. Jeden Tag, sagt der Pfarrer, müsse das Bettlaken des Jungen gewechselt werden. Die Kinder Hatice und Sevgi können sich noch daran erinnern, wie sie 1989 aus der Schweiz nach Deutschland geflohen sind. "Mein Vater brachte uns aus der Türkei in die Schweiz und wollte dort Asyl. Dies wurde abgelehnt und wir gingen über die grüne Grenze nach Deutschland. Ich weiß noch, wie wir Hunde bellen hörten und durch Schlamm liefen. Ein Mann nahm mich auf seine Schultern und trug mich durch den Wald, weil ich nicht so schnell laufen konnte", erzählt Hatice. Von ihrem Vater möchte sie am liebsten nichts mehr wissen. Bei der Polizei ist Hatices Vater als Gewalttäter und Kleinkrimineller bekannt. Er hat seine Frau und die Kinder geschlagen. Jetzt sitzt er in Abschiebehaft. Die Mutter ist seit Februar von ihm geschieden. Sie spricht kaum und schon gar nicht über ihren ehemaligen Mann. Sie fürchtet seine Schläge und sie fürchtet um die Zukunft ihrer Töchter, die als "Krefelderinnen in Kurdistan" nicht viel zu erwarten hätten, wie sie sagt. Die Geschichte der Familie Manaz interessiert Hans Joseph Thißen, den Abteilungsleiter für Ausländerangelegenheiten des Ordnungsamtes Krefeld, nicht mehr. Nervös fährt sich der Beamte mit den Händen durchs Gesicht, wenn man mit ihm über den Fall Manaz redet. Er ist sichtlich angestrengt von den Nachfragen der Krefelder Lokaljournalisten und der anderen Reporter, die täglich das Ringen um die Familie Manaz verfolgen. Die Gerichte haben entschieden, es gibt keinen Ermessensspielraum für die Behörden, sagt Thißen. Dann sagt er, froh zu sein, in einem Staat wie Deutschland zu leben - "das ist im Rechtsstaat der Vorteil, ich kann mich an die Gesetze halten, um meinen Job zu erledigen". Berufung auf das Grundgesetz Guido Brühl ist der Rechtsanwalt der Familie Manaz. Er beurteilt die Frage nach einem Ermessensspielraum der Behörden ganz anders. Am vergangenen Montag reichte er beim Krefelder Verwaltungsgericht einen "Antrag auf Feststellung eines verfassungsunmittelbaren Abschiebungshindernisses" ein. Brühl beruft sich auf Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, der die körperliche Unversehrtheit garantiert. Es ist ein weiterer Versuch des Anwalts, die Abschiebung zu verhindern, seitdem die Parteien darüber streiten, ob das Kirchenasyl durch die Anmeldung der Flüchtlingsfamilie beim Einwohnermeldeamt aufgehoben worden ist. Sevgi, die im nächsten Schuljahr in die zehnte Klasse ihres Gymnasiums kommen würde, hat für eine Debatte über die juristischen Fragen ihres Falls keine Nerven mehr. Zu oft musste sie mit ihrer Mutter zum Ausländeramt gehen und wurde dabei beleidigt, wie sie sagt. Anwältin wollte sie früher einmal werden, aber seit sie gesehen habe, was Menschen, die mit Gesetzen zu tun haben, "einem Schlimmes antun können", wolle sie doch lieber etwas Anderes studieren. "Psychologie, beispielsweise". Dass sie dieses Ziel erreichen wird, daran glaubt sie fest. Viele ihrer Schulkameraden haben Sevgi in der Kirche besucht. Und bereits einen Tag vor dem Umzug ins Kirchenasyl demonstrierten etwa dreihundert Schüler und Unterstützer der Familie Manaz vor dem Rathaus. Bald, das hofft sie immer noch, kann sie in ihr altes Leben zurück. Für September ist eine Klassenfahrt nach Berlin geplant. Sevgi wäre gerne dabei.
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