Süddeutsche Zeitung, 29.7.2000 Grenzerfahrungen im Städtchen Forst Gerhard Reinfeld (CDU) will nur seine Ruhe haben. Aber nun muss er sich als Ignorant und Kleinbürger beschimpfen lassen. Der Mann ist Bürgermeister von Forst, einer 25 000-Einwohner-Stadt, die direkt an der polnischen Grenze liegt. Von heute an wird sie für eine Woche rund 1000 Menschen mehr beherbergen - obwohl Reinfeld alles versucht hat, um das zu verhindern. Antifaschistische und Flüchtlingshilfegruppen veranstalten zum dritten Mal ihr "Antirassistisches Grenzcamp", nach Zittau und Rotenburg in Sachsen diesmal in Forst. Mit Kundgebungen und Konzerten will die linke Szene auf den, aus ihrer Sicht falschen Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen. Die Stadt hat den Initiatoren vom Cottbuser Verein "Multikulturelles Europa die Nutzung städtischer Flächen versagt - sie dürfen keine Zelte aufschlagen. Kommen werden sie trotzdem: Das Versammlungsrecht konnte der Bürgermeister nicht aushebeln; das Grenzcamp wird nun als genehmigte Dauerkundgebung stattfinden. Neben einigen Bundestagsabgeordneten hat auch die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marie-Louise Beck, an Reinfeld appelliert, das Camp zu unterstützen. Der Bürgermeister fühlt sich zu Unrecht unter Druck gesetzt. Die Erfahrung zeige, "dass es einigen Teilnehmern nicht darum geht, den Dialog zu suchen". Er befürchte "Chaostage ". Tatsächlich wurden im vorigen Jahr in Zittau Lagerfeuer auf offener Straße entfacht, Verkehrsschilder überklebt und das Rathaus mit Transparenten erstürmt. Dass es Übergriffe auf Anwohner gegeben hat, wie Reinfeld behauptet, stimmt nicht. Eine Sprecherin erinnert sich aber an eine "gereizte Stimmung. Es wurde immer provoziert und die Leute hatten Angst. Dass es wieder so kommt, lassen Internetseiten der Berliner linksalternativen Szene erahnen: Zur "Störung und Verunsicherung des Grenzregimes" und zur "Fluchthilfe" wird da aufgerufen. Der Umgang mit Asylbewerbern wird als "staatlicher Rassismus" und der Bundesgrenzschutz als Vollstrecker staatlicher Willkür gegeißelt. Eben jenen Grenzschützern werden die Aktivisten jetzt begegnen: BGS und Polizei rücken mit mehreren Hundertschaften an. Das ist wohl nötig - zu allem Übel haben nun Neonazis eine Gegenveranstaltung angekündigt. Dorit Kowitz
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