Süddeutsche Zeitung, 29.7.2000 "Die Gefahr wird unterschätzt" Der neue Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm sieht in Deutschland Ansätze zum Rechtsterrorismus SZ: Der Bundeskanzler fordert zum entschiedenen Kampf gegen Rechtsextremisten auf, der Außenminister sorgt sich um den Ruf Deutschlands, und die Grünen verlangen eine Sonderkonferenz der Innenminister. Was hat die Politik so aufgeschreckt? Fromm: Die Politik ist zu Recht aufgeschreckt. Und zwar durch eine ganze Reihe von Gewalttaten aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Menschen wurden verletzt und getötet. Vor vier Wochen haben Rechtsextremisten in Dessau einen Familienvater zu Tode geprügelt, weil er eine schwarze Hautfarbe hatte. In Ahlbeck fielen die Schläger über einen Obdachlosen her und töteten ihn. SZ: Welche Rolle spielen die schwarzen Listen, auf denen Politiker aller Parteien als Ziel rechter Angriffe genannt werden? Fromm: Das ist Teil der Bedrohung, aber vermutlich nicht der Auslöser für die politische Aufmerksamkeit. Diese Listen greifen sich quer über alle Parteien Abgeordnete heraus, sie nennen Telefonnummern und Adressen von politischen Gegnern, Namen von bekannten Schauspielern, die als Juden identifiziert werden. Da steht zum Beispiel unter einem Namen "Grund für Ärger: Kanake" oder "Grund für Ärger: Zecke/Punk". Sie wenden sich gegen "Rotfront, Dämocrator- und Zionistenterror". SZ: Wie ernst sind diese Drohungen? Fromm: Wir haben keine konkreten Erkenntnisse, dass Mordanschläge geplant sind. Die Extremisten wollen diesen Menschen offenbar angst machen, sie wollen sie einschüchtern. SZ: Der Obdachlose, der in Ahlbeck von Rechten getötet wurde, ist bereits das dritte obdachlose Opfer in Mecklenburg-Vorpommern innerhalb weniger Wochen. Greifen die rechtsextremistischen Schläger nun neben Ausländern auch Deutsche an? Fromm: Was wir erkennen, ist, dass Rechtsextremisten nicht nur Ausländer angreifen, sondern auch sogenannte linke Zecken, also Punks, und vermehrt Obdachlose. SZ: Die Bevölkerung scheint das weitgehend als alltäglich abzutun. Empörung kommt höchstens von oben, von Vertretern des Staates. In den Gemeinden bleibt es eigenartig still. Fromm: Man scheint das nicht so ernst zu nehmen, wie das wünschenswert wäre. Ob das eine Gewöhnung an die alltägliche Gewalt ist oder ob das mehr ist, vermag ich nicht zu sagen. Wir beobachten ja nicht die Bevölkerung, sondern Extremisten. Die Täter gehen offenbar davon aus, dass sie bei der Bevölkerung nicht mit großem Widerstand gegen ihre Aktionen rechnen müssen. Sie haben sogar das Gefühl, diese Taten im Namen vieler zu begehen. SZ: Deckt am Ende ein Teil der normalen Bevölkerung die Rechtsextremisten? Fromm: Wir beobachten eine große Duldsamkeit. Wenn das Gleichgültigkeit ist, ist das schlimm, aber kein Gegenstand für unsere Arbeit. Wenn es mehr ist, Sympathie oder stillschweigende Billigung, umso schlimmer. Aber es sind auch nicht alle, die das billigend beobachten, Extremisten. Es waren ja auch nicht alle 12,9 Prozent DVU-Wähler in Sachsen-Anhalt Extremisten. Wir können extremistische Aktivitäten beobachten, nicht aber diejenigen, die so etwas dulden. SZ: Aber die Duldung macht die Sache immer gefährlicher. Die Täter fühlen sich geradezu animiert. Fromm: Die Gefahr ist unterschätzt worden. Erst gab es die Lichterketten, die großen Demonstrationen, dann waren andere Dinge wichtiger. Es muss immer erst etwas passieren, bis die Leute aufmerksam werden. Und jetzt ist eine Menge passiert. Jedes Wochenende haben wir mehrere gewaltsame Aktionen. In bestimmten Teilen Deutschlands kommt es fast flächendeckend immer wieder zu Übergriffen. Die Gesellschaft muss hier ihre Selbstheilungskräfte einsetzen. Sonst schadet diese Entwicklung der gesamten Bundesrepublik. Wir erfahren, dass ausländische Professoren nicht mehr in die neuen Länder gehen wollen - aus Angst vor Übergriffen. Und auch Investoren scheuen solche Standorte, weil sie ihre ausländischen Mitarbeiter nicht der Gewalt aussetzen wollen. SZ: Wird der Rechtsextremismus nur als Standortproblem gesehen? Fromm: Das ist wie in der Schule mit dem Rauschgift. Das gibt es in unserer Schule nicht, sagen die Schulleiter, weil sie den Ruf ihrer Schule nicht ruinieren wollen. Obwohl jeder weiß, dass es das gibt. Da kann ich mir gut vorstellen, dass besorgte Kommunen das Problem Rechtsextremismus genauso als unangenehm empfinden. Man will Investoren nicht verschrecken. Wir finden mitunter nicht einmal die Zustimmung der Städte, wenn wir eine Ausstellung gegen Rechtsextremismus zeigen wollen. SZ: Das Problem konnte also durch die Tabuisierung erst so groß werden? Fromm: Ja, Widerstand gegen das Phänomen konnte sich nicht bilden. Aber es gibt auch positive Beispiele. In Weimar sorgt ein breites Bündnis von Bürgern dafür, dass Aufmärsche nicht stattfinden; in Ludwigshafen demonstrierte auch die Stadtspitze gegen den Anschlag auf das Asylbewerberheim. Es gibt bemerkenswerte Beispiele von Zivilcourage, es gibt Möglichkeiten, man muss es nur wollen. Man muss dem Problem entgegentreten, um es einzudämmen. SZ: Sie haben gesagt, es gebe mittlerweile Ansätze zum Rechtsterrorismus. Worauf stützen Sie das? Fromm: Es ist kein Terrorismus nach Art der RAF. Aber es gibt Strukturen im Neonazi-Bereich; es wurden dort auch Waffen gefunden. Wir sehen jedoch keine Strategie für einen bewaffneten Kampf, wie ihn die RAF betrieb. Wir können dennoch nicht ausschließen, dass aus solchen Zusammenhängen heraus schwerste Straftaten begangen werden. SZ: Man braucht nicht unbedingt eine Strategie, um loszuschlagen. Haben Sie Hinweise darauf, dass rechte Extremisten Anschläge vorbereiten? Fromm: Nein. Aber es wird darüber geredet und das immer häufiger. Es gibt vermehrt Waffenfunde und einen sprunghaften Anstieg von Homepages, die zu Hass und Gewalt aufrufen und die Anleitungen zum Bombenbau geben. Vergangenes Jahr wurde zum ersten Mal Kopfgeld auf die Ermordung eines politischen Gegners ausgesetzt. Wie gefährlich die Sache ist für den einzelnen, ist schwer einzuschätzen. Aber wir können nicht sagen: Lehnt Euch zurück, es passiert nichts. SZ: In Schweden haben Rechtsextremisten fast 30 Gegner ermordet. Fromm: Intern sprechen auch deutsche Extremisten über solche Gewaltanwendung. Zusammen mit den Waffenfunden ist das eine brisante Mischung. SZ: Wie kann die Gesellschaft dieser Gefahr begegnen? Fromm: Wir müssen die Möglichkeiten ausschöpfen, die der Staat hat. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen gemeinsam dem Rechtsextremismus entgegentreten, insbesondere dort, wo er gewalttätig ist. Wir müssen den Tätern die Grenzen deutlich machen. Da müssen Skinhead-Konzerte verboten und Täter konsequent festgenommen werden. Und auch die Justiz muss hier mitmachen. SZ: Staatsanwälte klagen, dass Richter selbst schlimmste Schläger mit einer kleinen Auflage auf Bewährung freilassen, und die dann sofort den nächsten verprügeln. Fromm: Wir müssen den Jugendlichen die Grenze aufzeigen. Ich habe den Eindruck, daran fehlt es da und dort. Es kann nicht so sein, dass jemand Sprengmittel ausprobiert und mit einer Ermahnung oder ein paar Stunden Arbeitsauflage weg kommt. Das ist kein Spaß mehr. Und es kann auch nicht sein, dass jemand, der einen anderen angreift und schwer verletzt, mit einem guten Ratschlag das Gericht verlässt. Und einer, der im Kaufhaus stiehlt, bekommt die gleiche Strafe. SZ: Ist der Sozialarbeiter-Ansatz gescheitert, die Jugendlichen mit möglichst viel Nachsicht zu behandeln? Fromm: Das meine ich nicht. Dieser Ansatz hat weiter seine Funktion. Aber abweichendes Verhalten wird nicht nur mit sehr viel Verständnis und sehr viel Hilfe beseitigt. Auch die repressive Seite, vor der wir immer ein bisschen zurückschrecken, muss deutlicher werden. SZ: Mittlerweile füllen den Verfassungsschutzbericht gerade noch 47 Seiten zum Linksextremismus, aber 82 Seiten zu den Rechten. Was hat denn der Verfassungsschutz getan, um dem Thema gerecht zu werden? Fromm: Das BfV hat das Personal, das sich um den Rechtsextremismus kümmert, seit Jahren verstärkt. Wir wenden mittlerweile mehr Ressourcen für rechts auf als für links - fälschlicherweise wird immer das Gegenteil behauptet. SZ: Reicht das? Immerhin hat sich die RAF aufgelöst. Den Linksextremismus betrachten viele nur noch als Schimäre. Fromm: Darüber kann man streiten. Wir wenden auf jeden Fall deutlich mehr Leute auf, und wir haben schon 1992 eine Arbeitsgruppe gegen rechtsextremistische Täter gegründet, in der BKA, Generalbundesanwalt und Verfassungsschutz zusammenarbeiten. Auch in unserer Öffentlichkeitsarbeit ist Rechtsextremismus ein Schwerpunkt. Ein weiteres Beispiel: Wir bemühen uns intensiv, rechtsextremistische Umtriebe im Internet aufzuklären. SZ: Immer noch wird beim Thema Extremismus gleichzeitig nach links und rechts gedeutet. Ist das nicht Verharmlosung angesichts der Gefahr von Rechts? Fromm: Es hat keinen Wert, jedesmal den merkwürdigen Versuch der Ausgewogenheit zu machen, damit alle mit einem zufrieden sind. Das wäre nicht sachgerecht. Ich halte nichts davon, zu jedem Satz, den wir zu rechts sagen, auch einen zu links hinzuzufügen. Wir machen uns ganz erhebliche Sorgen um den Rechtsextremismus, und darauf müssen wir uns konzentrieren - auch wenn ich die Taten von Autonomen nicht kleinreden will. Interview: Annette Ramelsberger
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