Süddeutsche Zeitung, 29.7.2000 Nach Übergriffen auf Ausländer und Obdachlose Berlin sagt Rechtsextremisten den Kampf an Verfassungsschutz sieht Ansätze zum Terrorismus / Grüne kritisieren Versagen gegenüber der Gewalt von Neonazis Berlin (SZ/dpa) - Die Bundesregierung will den Kampf gegen den Rechtsextremismus verstärken. Damit reagiert sie auf die zunehmende Gewalt gegen Ausländer und Obdachlose. Verbessert werden solle sowohl die Verhinderung solcher Taten im Vorfeld als auch die Verfolgung der Täter, sagte Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) am Freitag in Berlin. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte bereits am Mittwoch ein energischeres Vorgehen des Staates angekündigt. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sieht Ansätze zum Rechtsterrorismus. Sein Präsident Heinz Fromm sagte der Süddeutschen Zeitung, die Extremisten griffen nicht nur Ausländer und Punks an, sondern vermehrt auch Obdachlose. Der Grünen-Innenpolitiker Cem Özdemir sprach von einem massiven Versagen in Deutschland gegenüber neonazistischer Gewalt. Die gesamte Politik habe dieses Thema lange Zeit nicht ernst genug genommen. Schily sagte, künftig sollten die verschiedenen Einzelprogramme der Bundesre gierung unter Federführung des Innenministeriums gebündelt werden. Vorbeugende Maßnahmen müssten jedoch zu allererst im lokalen Bereich ergriffen werden. Die Zahl rechtsradikaler Attacken sei zwar insgesamt rückläufig, die Vorfälle dürften jedoch nicht bagatellisiert werden. Nach Fromms Angaben gibt es derzeit rund 350 Homepages von deutschen Rechtsextremisten. Seit 1996 habe sich die Zahl der Seiten deutscher Rechtsextremisten im Internet verzehnfacht. Schlimm sei, dass die Entwicklung nicht ernst genug genommen werde. Die Täter gingen davon aus, dass sie "nicht mit großem Widerstand gegen ihre Aktionen rechnen müssen und ihre Taten "im Namen vieler um sie herum" begingen. Die Gefahr sei allgemein unterschätzt worden. Die Grünen-Vorsitzende Renate Künast hatte zuvor dem Koalitionspartner SPD ein zu zögerliches Vorgehen gegen den Rechtsradikalismus vorgeworfen. Die SPD zeige "bisweilen im Kampf um die Lufthoheit über den Stammtischen eine Zurückhaltung, die für die Bundesrepublik mittelfristig schädlich sein wird ", sagte sie der Frankfurter Rundschau. Die Politik müsse zur Kenntnis nehmen, dass rechtsradikale Gruppen längst "terroristische Ansätze" zeigten. "Wir haben es mit Gruppen zu tun, die gemeingefährliche Straftaten begehen. Da können ganze Wohnhäuser in die Luft gehen." Künast warnte davor, die Gefahren des Rechtsextremismus nicht ernst zu nehmen. Sie forderte Polizei und Justiz zu entschiedenerem Vorgehen auf. "Es ist auch ein Teil der geistigen Auseinandersetzung, wenn der Repressionsapparat signalisiert: So nicht! Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), bezeichnete Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus als "die wirklich große Herausforderung in diesen Tagen". Er warnte aber davor, die ostdeutschen Bürger nach den jüngsten rechtsextremen Gewalttaten unter den "Generalverdacht" der Ausländerfeindlichkeit zu stellen. "Das sind immer noch einzelne Vorkommnisse, obwohl jedes einzelne Vorkommnis ein Vorkommnis zu viel ist." Er nahm aber die 16 Millionen Einwohner in den neuen Bundesländern vor dem Verdacht in Schutz, mit den Rechtsextremisten zumindest zu sympathisieren. Eine Erziehung zu Toleranz, Gewaltfreiheit und zur Akzeptanz anders Denkender müsse dennoch insbesondere in den neuen Bundesländern künftig eine große Rolle spielen. FDP-Vorstandsmitglied Mehmet Daimagüler sagte, der Kampf gegen den rechten Terror müsse überall dort eine zentrale innenpolitische Aufgabe sein, wo ungestraft "nationale, ausländer- und judenfreie Zonen" ausgerufen würden. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte erst vor wenigen Tagen eindringlich vor einem Erstarken des Rechtsextremismus in Ostdeutschland gewarnt. Auf die Äußerungen von Brandenburgs SPD-Chef Matthias Platzeck reagierte die Landes-CDU mit scharfer Kritik. Sie seien "unpassend und wenig sinnvoll", sagte Parteisprecher Stephan Goericke. Platzeck hatte in der ARD gesagt, werde ein Kind von einem Kampfhund gebissen, gebe es in Deutschland einen Aufschrei der Empörung, schlügen rechte Gewalttäter dagegen einen Ausländer zusammen, werde dies mit einem Achselzucken abgetan.
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