Der Standard (A), 1.8.2000

Irak-Kuwait - 10 Jahre danach (2)

Die Iraker und ihr Saddam: "Schau, was Allah uns antut"

Nicht nur für die Menschen in Kuwait, die die unschuldigen Opfer des Überfalls der Truppen von Saddam Hussein auf ihr Land wurden, brach am 2. August 1990 die Welt zusammen: Auch die Iraker mussten an jenem Tag ihre Träume von einer besseren Zukunft begraben. Von Gudrun Harrer.

"Ya Saddam, ya Saddam", betet ein Iraker, "sieh doch nur, was Allah uns antut!" In diesem verzweifelten Witz ist die ganze Tragik und Absurdität des heutigen Irak enthalten: Zehn Jahre nach dem Überfall auf Kuwait und neuneinhalb nach dem Ende des Golfkriegs schwebt der Irak, eines der reichsten Länder der Erde, zwischen Lethargie und Wahnsinn.

Der 2. August 1990, an dem irakische Truppen in Kuwait einmarschierten - übrigens ohne dass das Verteidigungsministerium in Bagdad vorher informiert wurde, Saddams "Divide et impera" -, bedeutete für die Iraker ein jähes Ende des kurzen Aufschwungs nach 1988, als der Krieg mit dem Iran vorbei war. Vieles an Repression und Menschenrechtsverletzungen war dem Kriegszustand zugeschrieben worden, wenn der einmal vorbei sei, werde alles besser werden - und fast schien es ja so, "die Leute lächelten plötzlich auf der Straße", beschreibt eine Irakerin die Stimmung. Im August 1990 war jede Hoffnung auf Normalisierung vorbei, man wusste nun, Saddam "wird nie Ruhe geben, er braucht den Ärger".

Zumindest für die Gesellschaft in der Hauptstadt Bagdad brachte die Invasion und die folgende Besetzung und Plünderung Kuwaits weiters die Trennung der Spreu vom Weizen: Ganz genau wusste und weiß man noch immer, wer und welche Familien mit Beutegut aus Kuwait, das billig auf die Bagdader Märkte strömte, in Berührung kamen beziehungsweise wer strikt ablehnte, dass ihm etwas in Kuwait Geraubtes ins Haus kam - die einzige Art, seine politische und moralische Missbilligung auszudrücken.

Die Irakerin erzählt, wie sie und ihre Freundinnen am 2. August demonstrativ das Haus eines aus Kuwait stammenden Mädchens aufgesucht und stundenlang bei ihr gesessen hätten, als hilflose Geste des Anstands. Auf die Frage, wie sie denn so überrascht sein konnten, dass sie unter die Räuber und Mörder geraten seien, wo sie das Regime doch seit Jahren kannten, kommt stilles Achselzucken: Der Westen habe ja schließlich Saddam auch unterstützt, und vor einem Islamismus `a la Iran habe man sich auch wirklich gefürchtet und gedacht, Saddam Hussein sei das kleinere Übel.

Der Krieg der Alliierten, der Mitte Jänner 1991 mit Luftschlägen gegen Bagdad begann und Ende Februar mit der Befreiung Kuwaits endete, kam für die meisten Iraker völlig überraschend: Den Wahnsinn, sich den USA zu widersetzen, hatte man Saddam doch nicht zugetraut - obwohl, erinnern wir uns, die Stärke des irakischen Militärs ja zu dieser Zeit auch im Westen noch haushoch überschätzt wurde. Die Realität sah anders aus. Die Irakerin erzählt, dass ein ihr bekannter Soldat berichtete, dass seine Einheit nach acht Tagen nichts mehr zu essen hatte. Offensichtlich hatte sich auch Saddam verkalkuliert.

Was wiederum von einer Fehlkalkulation der Alliierten zu Kriegsende gefolgt wurde: Wohl auch im Glauben, die Sache werde sich von selbst erledigen, ließen die Alliierten den besiegten Saddam sich in seiner Hauptstadt verkriechen und setzten ihm nicht nach.

Zu diesem Zeitpunkt, spätestens jedoch, als die Alliierten den sich gegen Saddam erhebenden Kurden und Schiiten nicht zu Hilfe kamen, sondern zusahen, wie sie niedergemetzelt wurden, entstand die Mär von der Zusammenarbeit zwischen USA und Saddam, der pünktlich alles so mache, wie es Washington brauche, und dafür geschont und verwöhnt werde. Wenn, wie in den vergangenen Jahren regelmäßig, ein gescheiterter Attentatsversuch gegen Saddam bekannt wird, sagen viele Iraker: Da hat ihn die CIA wieder einmal vorher gewarnt.

Typisch nahöstliche Verschwörungstheorien, gewiss, aber dass die CIA beim ersten Putsch der Baath-Partei im Irak 1963 die Baath-Mörderbanden mit Namen und Adressen der umzubringenden Kommunisten ausstattete, ist inzwischen historisches Allgemeinwissen.

Totalembargo

Als die irakischen Truppen aus Kuwait hinausgeworfen waren, der Irak nach den Aufständen wieder "befriedet" und der Wiederaufbau mit der den "arabischen Preußen" eigenen Tüchtigkeit begonnen hatte, glaubten die Iraker wieder, sie hätten das Schlimmste bald hinter sich: Das internationale Embargo gegen den Irak, in seiner Totalität einzigartig in der Geschichte, sollte aufgehoben werden, sobald die von der UNO im April 1991 gesetzten Bedingungen erfüllt waren.

Es folgte der Versuch der UNO, den Irak gegen den Willen seines Regimes abzurüsten - ein Erfolg, wenn man es an der Zahl der von der Abrüstungsmission im Laufe der Jahre zerstörten Waffen misst, ein Fehlschlag insofern, als niemand weiß, was sich an verbotenen Massenvernichtungswaffen noch im Irak befindet.

Und die Sanktionen bestehen nach zehn Jahren noch immer: Die Mittelschicht ist verarmt, die Unterschicht verelendet - und eine kleine Gruppe von Leuten scheffelt Milliarden.