junge Welt, 02.08.2000

Drastische Zunahme rechter Gewalt

PDS-Abgeordnete Ulla Jelpke kritisiert unzureichendes Vorgehen der Behörden

Bei antisemitischen Straftaten haben Regierung und Polizei im zweiten Quartal des laufenden Jahres 157 Fälle erfaßt: zwei Körperverletzungen, eine Brandstiftung, elf Störungen der Totenruhe, zehn Sachbeschädigungen und 133 sonstige Straftaten, zumeist Propagandadelikte. Im erstenQuartal hatte die Polizei 140 antisemitische Straftaten erfaßt, im zweiten Quartal 1999, dem Vergleichszeitraum des Vorjahres »nur« 110. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der PDS- Abgeordneten Ulla Jelpke hervor, die am Dienstag bekannt wurde.

Auch die rechtsextremistischen Straftaten haben in diesem Zeitraum deutlich zugenommen, 129 wurden im alleine im Juni zusätzlich zu den antisemitischen Delikten registriert. Im Mai waren 82 solcher Straftaten erfaßt worden, im Vergleichsmonat 1999 wurden »nur« 97 aktenkundig. Unter den im Juni verübten rechten Delikten waren 28 Angriffe auf Personen, zwei Brandanschläge und 99 sonstige Straftaten. Es war ein Todesopfer zu beklagen. 26 Personen, zumeist Flüchtlinge und Migranten, wurden durch die braunen Schläger verletzt, einige davon erheblich. Trotz der zunehmenden Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten reagierten Polizei und Justiz weiter lasch.

Von den im Juni ermittelten 144 Tatverdächtigen wurden nur zwölf vorläufig festgenommen, in lediglich neun Fällen erging Haftbefehl. Mit anderen Worten: Über 90 Prozent der rechtsextremistischen Täter laufen weiter frei herum. Erhebungen über Verurteilungen rechter Gewalttäter existieren offenbar nicht. »Seit acht Jahren frage ich Monat für Monat nach Urteilen gegen rechte Täter. Seit acht Jahren sind weder Bundesjustizministerium noch Länderjustizverwaltungen bereit oder in der Lage, diese Frage zu beantworten. Seit acht Jahren kommt von der Bundesregierung - auch jetzt von Rot-Grün - die lakonische Antwort, der Bundesregierung lägen >keine Angaben vor<«, beschreibt Ulla Jelpke das Ergebnis ihrer dahingehenden Bemühungen.

Auch in einzelnen Bundesländern wächst die Kritik am laschen Vorgehen der Behörden gegen Neonazis. Lutz Jobs, Bürgerschaftsabgeordneter der Regenbogen-Gruppe in Hamburg, kritisierte am Dienstag in Hamburg, daß Neonazigruppen regelmäßig Infostände und Demonstrationen genehmigt werden würden. Er verwies auf das Beispiel der Städte Göttingen und Weimar, die derartige Aufmärsche konsequent untersagen würden. »Hier muß Hamburg Nachhilfe nehmen«, erklärte Jobs und forderte den Hamburger Innensenator Klaus Wrocklage (SPD) auf, keine Neonaziaufmärsche mehr zu genehmigen.

(jW)