junge Welt, 07.08.2000 Wie politischen Gefangenen in der Türkei helfen? jW sprach mit Berran Yildirim vom Angehörigenverband der politischen Gefangenen TUYAB. Zur Zeit lebt sie in Berlin F: Ihr Sohn befindet sich seit zwei Jahren als politischer Gefangener in Istanbul im Gefängnis. Wie ist die Situation in der Haftanstalt? Mein Sohn wurde vor zwei Jahren aufgrund des Verdachtes festgenommen, militante Aktionen gegen den Staat organisiert zu haben. Zur Zeit befindet er sich in dem Gefängnis Ümraniye, einem Bezirk von Istanbul. Dort sind die politischen Gefangenen zwar nicht so heftigen Angriffen und Folter ausgesetzt wie in anderen Gefängnissen, man versucht aber ständig, die Rechte der Insassen und der Angehörigen einzuschränken. Ich darf meinen Sohn einmal in der Woche sehen, allerdings werden wir jedesmal durch eine Glasscheibe getrennt. In der Haft sind unsere Kinder Mißhandlungen jeder Art ausgesetzt, sowohl psychisch als auch physisch. F: Ende Juli rückte die Haftanstalt in Bergama in das Licht der Öffentlichkeit, als das Gelände von Sondereinheiten gestürmt wurde. Die Aktion wurde durch den Fund eines Fluchttunnels begründet. Hat sich die Situation der Gefangenen nach dieser Aktion verschlimmert? Inwiefern sich nach dem Fund des Tunnels die Situation der politisch Gefangenen verschlechtert hat, kann ich nicht sagen. Nachdem ich das Land verlassen habe, kann ich nur einen sehr sporadischen Kontakt zu den Anwälten halten. Der Angriff gegen die Gefängnisinsassen in Bergama hatte aber eine neue Qualität, weil chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Der Angriff sollte die Häftlinge psychisch unter Druck setzen. Als die Gefangenen von der Gendarmerie von Bergama in den Ort Buca transportiert wurden, gab es gewaltsame Übergriffe. In Buca wurden bei mehreren Häftlingen Kiefer,- Arm- und Beinbrüche festgestellt. Andere haben verschiedene Folterspuren auf ihren Körpern. F: Wie reagiert die Regierung in Ankara auf die Zusammenstöße? Nachdem die Gefangenen heimlich Fotos von Folterspuren aus den Haftanstalten schmuggeln konnten, ging die Regierung in die Offensive. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen die Häftlinge, mit der Begründung, daß sie mit Hilfe des Fotoapparates staatsfeindliche Aktivitäten unternommen hätten. F: Was können die Solidaritätskomitees in dieser Situation bewirken? Immer mehr Menschen engagieren sich und versuchen, die politischen Gefangenen und deren Familienangehörige zu unterstützen. Seit den Angriffen gegen politische Gefangene im vergangenen Jahr mehrt sich auch die Kritik in der Türkei selbst. Vor allem auf den Staat muß Druck ausgeübt werden, denn die Sicherheit der Häftlinge liegt in seiner Hand. Verschiedene Organisationen, Vereine und Gewerkschaften versuchen, uns in unseren Unternehmungen zu unterstützen. Ich denke, daß nur eine unnachgiebige Opposition Wirkung zeigt. Der türkische Staat geht gegen politische Gegner sehr autoritär vor. Darum müssen wir ihm einen ebenso entschlossenen Widerstand entgegensetzen. Es geht der Regierung in Ankara um die völlige Vernichtung der Linken, die eine echte Gefahr für das System darstellt. Weil die Ermordung von politischen Gefangenen zu auffällig wäre, sollen nun Isolationszellen eingerichtet werden. Man will versuchen, die Gefangenen wenn schon nicht physisch, dann psychisch fertig zu machen. Falls der Staat die Linie beibehält, ist in Zukunft zweifellos mit blutigen Auseinandersetzungen zu rechnen. Interview: Hayal Düz
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