Frankfurter Rundschau, 7.8.2000 Hohes Risiko für die Türkei Präsenz auf Zypern teuer Von Gerd Höhler (Athen) Ihre Präsenz im Norden der geteilten Mittelmeerinsel Zypern lässt sich die Türkei eine Menge Geld kosten. Die Rechnung schwillt nun weiter an. Das Zypern-Engagement könnte Ankara in den finanziellen Ruin treiben. Nicht nur der Unterhalt der rund 30 000 in Nordzypern stationierten türkischen Soldaten schlägt zu Buche. Ankara bestreitet auch einen Großteil des Budgets der 1983 im Inselnorden ausgerufenen Türkischen Republik Nordzypern. Ohne die Subventionen vom anatolischen Festland wäre der international nicht anerkannte Miniaturstaat wohl binnen weniger Wochen zahlungsunfähig. Derzeit sind die Inseltürken besonders knapp bei Kasse. In den nächsten Tagen werden dringend rund 60 Millionen Mark für die Entlohung Staatsbediensteter benötigt. Die Gehälter einfach schuldig zu bleiben, kann sich die türkisch-zyprische Regierung gerade jetzt nicht leisten. Nach dem Zusammenbruch mehrerer zwielichtiger Geldinstitute gingen die Inseltürken vergangene Woche zu Zehntausenden auf die Straßen. Demonstranten stürmten sogar das Parlament. Die geprellten Sparer wird letztlich der Finanzminister in Ankara entschädigen müssen, wenn die Türkei Nordzypern unter Kontrolle halten will. 1974 ließ der damalige und heutige türkische Premier Bülent Ecevit den Nordteil der Insel besetzen, um die auf Zypern lebende türkische Minderheit vor der befürchteten Annektierung der Insel durch die seinerzeitige Athener Obristenjunta zu schützen. Doch unabhängig von der aktuellen Krise wird das Engagement in Nordzypern, für Ankara im Verhältnis zu Europa schon immer eine schwere Hypothek, nun auch finanziell zu einem unkalkulierbaren Risiko. Kürzlich forderte das Ministerkomitee des Europarats in ungewöhnlich ultimativem Ton die Türkei auf, sich einem bereits vor zwei Jahren ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu fügen. Die Straßburger Richter hatten mit ihrem damaligen Spruch der Zyperngriechin Titina Loizidou eine Entschädigung in Höhe von umgerechnet 1,9 Millionen Mark zuerkannt. Wie rund 180 000 griechische Zyprer musste Loizidou 1974 vor den türkischen Invasionstruppen aus dem Inselnorden fliehen und ihren Besitz zurück lassen. Ankara ignoriert das Urteil und verweigert die Zahlung. Dies ist der erste Fall in der mehr als 50-jährigen Geschichte des Gerichtshofs, in dem ein Mitgliedsland des Europarats eine Entscheidung offen missachtet. Aber die Türkei ist in einer schwierigen Situation. Ignoriert sie das Straßburger Urteil weiter, riskiert sie letztlich den Ausschluss aus dem Europarat und verriegelt sich damit selbst die Tür zur EU. Zahlt sie die angeordnete Entschädigung, dürfte eine Lawine weiterer Klagen ausgelöst werden. Rund 150 ähnliche Beschwerden sind bereits in Straßburg anhängig.
|