Bremer Nachrichten, 9.8.2000 Der Abrams muss "nachsitzen" Warum Panzer-Geschäft mit der Türkei zur unendlichen Geschichte zu werden droht Von unserer Korrespondentin Susanne Güsten Istanbul. Sie wühlten sich bei minus 20 Grad durch den Schnee der Osttürkei und rollten bei mehr als 40 Grad Hitze durch den Staub Zentralanatoliens. Der deutsche Leopard-2 und die Prototypen der anderen Panzer im Wettbewerb um den geplanten Rüstungskauf der türkischen Armee wurden im vergangenen halben Jahr von den Militärs auf Herz und Nieren geprüft. Nun sind die technischen Tests am Leo abgeschlossen, doch die schwerste Probe kommt erst noch: die politische Entscheidung darüber, welchen Panzertyp die Armee für umgerechnet rund 14 Milliarden Mark kaufen will. Anders als die technische Erprobung wird dieser Beschluss aber noch auf sich warten lassen. Die angesehene türkische Tageszeitung "Cumhuriyet" sorgte zwar vergangene Woche mit einem Bericht für Aufregung, nach dem bereits Ende diesen Monats Klarheit über den Panzerkauf geschaffen werden solle; damit würde die Türkei im ursprünglichen Zeitplan bleiben, der eine Entscheidung in diesem Sommer vorsah. Doch in Militärkreisen in Ankara wird die "Cumhuriyet"-Meldung dementiert: Neue Komplikationen haben den Zeitplan für das Panzergeschäft gehörig durcheinander gewirbelt, heißt es dort. Frühestens Ende des Jahres oder gar erst im Jahr 2001 ist mit einem Beschluss Ankaras über den Kauf von insgesamt 1000 Kampfpanzern zu rechnen. Grund sind Querelen um den US-amerikanischen Abrams-Panzer. Der Abrams bildet mit dem Leopard sowie einem französischen und einem ukrainischen Panzer das Quartett, aus dem die Türken ihren Panzer der Zukunft auswählen wollen. In Ankara wurden dem US-Panzer in den vergangenen Monaten gute Chancen auf den Zuschlag im Milliarden-Deal eingeräumt, besonders weil Washington hinter den Kulissen politischen Druck auf die Türkei machte. Doch nun sorgt der Abrams für Verzögerungen. Entgegen der ausdrücklichen Anforderung der Türken war der US-Prototyp Anfang des Jahres zu Beginn der Tests mit einer Gas- und nicht mit einer Dieselturbine geliefert worden. Erst vor kurzem lieferte die US-Herstellerfirma General Dynamics die geforderte Dieselturbine - doch nun sind die Sommer-Erprobungen schon vorbei, die der Abrams wegen des Streits um den Antrieb verpasste. Deshalb soll der amerikanische Panzer "nachsitzen" und die Sommertests jetzt absolvieren. Diese Prüfungen sollen Ende September abgeschlossen sein, und erst dann beginnt die Auswertung durch das türkische Wehrbeschaffungsamt. Die Experten dürften kaum vor Ende des Jahres mit ihren Beratungen fertig werden. Denn sie müssen eine Qualitäts-Rangfolge der vier Panzer für die Beschaffungsentscheidung vorlegen, die dann von Generalstabschef Hüseyin Kivrikoglu, Ministerpräsident Bülent Ecevit und Verteidigungsminister Sabahattin Cakmakoglu gefällt werden muss. Möglicherweise zieht sich das ganze Prozedere aber noch weiter in der Länge. Denn der Abrams könnte wegen des Turbinen-Streits gezwungen sein, auch die Winter-Tests zu wiederholen - diesmal mit dem richtigen Antriebssystem. Die Abrams-Konkurrenten aus Deutschland, Frankreich und der Ukraine kritisieren zudem, dass es der US-Panzer bei seinen bevorstehenden Sommertests im September mit erheblich milderen Temperaturen zu tun haben wird als ihre eigenen Panzer in der Gluthitze des Juli. Womöglich wird der US-Panzer mit seiner Sommer-Erprobung deshalb bis zum nächsten Juli warten müssen - was zusätzliche Verzögerungen im Entscheidungsprozess bedeuten würde. Weder in Berlin noch in Ankara dürfte das Warten auf das endgültige Ende der Erprobungen mit großem Bedauern aufgenommen werden. Die rot-grüne Bundesregierung ist froh, dass sie sich so bald nicht mit dem explosiven Thema einer Liefergenehmigung befassen muss, sollte der Leopardden Zuschlag erhalten. Auch der türkischen Regierung kommt es gelegen, wenn sie einen guten Grund findet, die Entscheidung zu vertagen, denn Ankara fehlt zur Zeit schlicht das Geld für ein Rüstungsgeschäft dieser Größenordnung. Erst vor zwei Wochen verzichtete die türkische Regierung nach jahrelangen Diskussionen auf den Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes, unter anderem weil die Zentralbank finanzielle Garantien verweigerte. Die Türkei steckt mitten in einem mit dem Internationalen Währungsfonds abgestimmten Stabilitätsprogramm und hat sich zu strikter Ausgabendisziplin verpflichten müssen. Deshalb wurden auch am Panzergeschäft Veränderungen vorgenommen: Zunächst sollen nur 250 Panzer angeschafft werden, die restlichen 750 des Gesamt-Projekts erst später. Das Panzergeschäft schickt sich an, zur unendlichen Geschichte zu werden. |