Neue Zürcher Zeitung (CH), 11.8. 2000
Venezuelas Präsident Chávez zu Besuch im Irak
Roter Teppich für den hohen Staatsgast in Bagdad
Auf einer Tour durch die Opec-Länder ist der venezolanische Präsident Chávez nach Bagdad gereist. Er überreichte Saddam Hussein persönlich eine Einladung für den Opec-Gipfel im kommenden Monat in Caracas. Die USA bezeichneten den Besuch des erst vor kurzem wieder gewählten Chávez als dubios, ärgerlich und gegen die Uno-Sanktionen verstossend.
ber. Kairo, 10. August
Der venezolanische Präsident, Hugo Chávez, ist am Donnerstagmittag auf dem Landweg im Irak eingetroffen. Bei seinem Empfang im iranisch-irakischen Grenzort Mundhiriya wurde ein roter Teppich ausgerollt, und eine Blaskapelle des irakischen Militärs spielte die venezolanische und die irakische Nationalhymne. Anschliessend flog Chávez mit dem irakischen Vizepräsidenten Ramadan und dem Ölminister Rashid im Helikopter nach Bagdad zu einem Treffen mit dem irakischen Präsidenten.
Forderung nach einer Preisbindung
Chávez ist das erste Staatsoberhaupt, das seit der irakischen Invasion
in Kuwait 1990 den Irak besucht. Bagdad ist eine der Stationen einer längeren
Reise, die den venezolanischen Präsidenten durch alle Mitgliedstaaten
der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) führen
soll. Im Laufe dieser Woche war Chávez bereits in Saudiarabien, Kuwait,
Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Iran; auf dem Reiseprogramm
stehen weiter Indonesien, Algerien, Nigeria und Libyen. Venezuela ist als
einziges Land Südamerikas Mitglied der Opec; in diesem Jahr hat es ausserdem
die rotierende Präsidentschaft des Kartells inne.
Der venezolanische Präsident hat auf der Tour seinen Gastgebern eine Einladung nach Caracas für das Gipfeltreffen der Opec-Mitgliedstaaten und die Feier des vierzigjährigen Bestehens der Organisation im September ausgehändigt. Die Erdöl exportierenden Länder sind seit 25 Jahren nicht mehr in einem derart grossen Rahmen zusammengekommen. Auch Saddam Hussein hat eine Einladung erhalten. Allerdings glaubt niemand an eine Reise des irakischen Präsidenten nach Venezuela. Aus Sicherheitsgründen hat er seit Jahren sein Land nicht mehr verlassen.
Chávez' Tournee, so hatte im Vorfeld der Reise Venezuelas Aussenminister Rangel erklärt, habe zum Ziel, die Opec-Staaten für eine einheitlichere Politik, nämlich eine Absprache der Produktionsmengen und eine Preisbindung, zu gewinnen. Auch wenn der Irak nur 2,6 Millionen Fass Rohöl pro Tag exportiere, könne er in einer nach Öl dürstenden Welt nicht ignoriert werden, meinte Rangel weiter. Vertreter des irakischen Ölministeriums hatten sich Chávez' Anliegen gegenüber positiv geäussert. In Dubai sprach sich am Mittwoch der venezolanische Ölminister Rodríguez, der Chávez auf seiner Reise begleitet, dagegen aus, dass einzelne Länder ihre Kontingente individuell und ohne Absprache mit der Opec erhöhten und damit einen Preissturz bewirken könnten. Damit spielte er auf Saudiarabien an, das im Juli seine Produktion um mindestens 250 000 Fass pro Tag gesteigert hatte. Der Präsident der venezolanisch-amerikanischen Wirtschaftskammer hatte vor kurzem bemerkt, Venezuelas Wirtschaft sei dermassen vom Ölpreis abhängig, dass ein Fall von einem Dollar pro Fass einen Einkommensverlust von einer Milliarde Dollar bedeute.
Kritik aus den USA
Chávez hatte für seinen Besuch im Irak den Landweg gewählt,
um nicht gegen das von den Vereinten Nationen verhängte Flugverbot zu
verstossen. Dennoch warfen ihm die USA vor, das Embargo-Komitee des Uno-Sicherheitsrats
nicht um eine Erlaubnis für einen Staatsbesuch in Bagdad ersucht zu haben.
Der Sprecher des amerikanischen Aussenministeriums erklärte, es sei eine
zweifelhafte Auszeichnung, der erste demokratisch gewählte Staatspräsident
zu sein, der den irakischen Diktator in seinem Lande besuche. Der venezolanische
Aussenminister tat die amerikanische Wertung als absurd ab. Es handle sich
bei dem Besuch um den Akt des Staatsoberhauptes eines souveränen Staates,
sagte Rangel.
Die USA kritisieren den erst kürzlich wieder gewählten Chávez regelmässig wegen seiner guten Beziehungen zu Kuba; auch die Tatsache, dass Venezuelas Präsident kürzlich Libyen als Modelldemokratie bezeichnet hatte, ist in Washington nicht verborgen geblieben. Trotz denh leicht gespannten Beziehungen lässt sich aber nicht verleugnen, dass die USA Venezuelas wichtigster Erdölkunde sind.