Neue Zürcher Zeitung (CH), 11.8.2000
Die Schlinge um die NPD zieht sich zu
Konsequenzen aus der Zunahme rechtsradikaler Gewalttaten
Die deutschen Innenminister haben sich entschlossen, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe einen Antrag auf das Verbot der rechtsradikalen NPD beim Verfassungsgericht in Karlsruhe prüfen zu lassen. Bereits im November soll die Innenministerkonferenz eine Entscheidung herbeiführen. Die Debatte über Massnahmen gegen Rechtsextremisten wird von weiteren Gewalttaten von Neonazis und Skinheads begleitet.
Ko. Bonn, 10. August
Schneller als erwartet haben sich am Mittwochabend die Staatssekretäre der Innenministerien von Bund und Ländern in Deutschland auf die sofortige Einberufung einer gemeinsamen Kommission geeinigt, die die Möglichkeiten eines Verbots der rechtsradikalen NPD und anderer rechtsextremistischer Parteien überprüfen soll. Schon am Freitag soll die Arbeitsgruppe ihre Tätigkeit aufnehmen. Bis Mitte Oktober sollen die Prüfungen abgeschlossen sein, damit die Innenminister im November entscheiden können, ob sie beim Verfassungsgericht in Karlsruhe ein Verbot der NPD und eventuell auch anderer Parteien beantragen. Mit diesem Zeitplan entsprachen die Experten der Ministerien den Forderungen des bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber, ohne sich freilich schon jetzt, wie in München verlangt, auf einen Verbotsantrag in Karlsruhe festzulegen.
Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten
An der Besprechung stellten die Innenministerien klar, dass auch die Konkurrenzorganisationen der NPD, die Deutsche Volksunion und die Republikaner, in die Prüfung einbezogen werden. In einer ersten Phase der Beratungen soll geklärt werden, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein Verbot gegeben sind. In der zweiten Phase wäre zu prüfen, ob das Beweismaterial gegen die NPD ausreicht. Vor allem die Bundesregierung in Berlin hatte in den letzten Tagen wiederholt auf einer gründlichen Prüfung bestanden. Nichts wäre fataler als ein Antrag, der am Verfassungsgericht scheitert, hiess es quer durch die Parteien. Anders als Verbote einzelner extremistischer Gruppen und Vereine bedürfen das Verbot und die Auflösung einer politischen Partei laut Grundgesetz eines Verfassungsgerichtsurteils.
Vor allem Erkenntnisse der Staatsschutzorgane in Bayern und Niedersachsen haben die Bereitschaft zu einem zügigen Verfahren offenbar gefördert. Die Wahrscheinlichkeit eines NPD-Verbots ist, wie auch die Berliner Justizministerin Däubler-Gmelin bestätigte, gewachsen. Bisher hatte das Beweismaterial, das gegen die NPD vorliegt, eher als dürftig gegolten. Das hängt zum Beispiel damit zusammen, dass die meisten Gewalttäter aus dem rechtsradikalen Milieu selber gar nicht der NPD angehören.
Die Nationaldemokratische Partei gilt inzwischen als der legale Arm zunehmend radikalisierter Jugendlicher im Alter noch unter 21 Jahren. So werden Demonstrationen oft von der NPD angemeldet, von Neonazis und der Skinheadszene jedoch zu fremdenfeindlichen und volksverhetzenden Aktionen genutzt. Die NPD gewährt Angehörigen ihr nahe stehender Jugendorganisationen bei ihren Veranstaltungen Rederecht und dient kleinen, spontanen und improvisierten Splittergruppen mithin als Plattform.
Kontraproduktive Massnahmen?
Immer wieder wird in der derzeitigen Diskussion in Deutschland gegen ein Verbot parteiübergreifend auch das Argument vorgebracht, im Untergrund wären Angehörige neonazistischer Organisationen durch Polizei und Verfassungsschutz noch schwieriger zu überwachen als heute schon. Ministerpräsident Stoiber wies in diesem Zusammenhang aber auf die erfolgreiche Zerschlagung der kurdischen PKK auf deutschem Boden nach deren Verbot durch die deutschen Behörden hin.
Die Kette der Ratschläge reisst derweil nicht ab. Selbst Simon Wiesenthal, der frühere Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, äusserte Zweifel am Nutzen eines Parteiverbots. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel führte, vom Deutschen Beamtenbund lebhaft unterstützt, die Forderung in die Debatte ein, Rechtsextreme unverzüglich aus dem öffentlichen Dienst zu entlassen, musste sich aber vom Berliner Innenministerium sogleich belehren lassen, dass Verfassungstreue ohnehin Voraussetzung für eine Tätigkeit bei staatlichen Behörden sei, die blosse Mitgliedschaft in einer extremistischen Partei aber laut Verfassungsgerichtsurteil noch nicht als Entlassungsgrund ausreiche.
Neue Einzelfälle
Die Debatte war durch den Sprengstoffanschlag an einer Düsseldorfer S-Bahn-Station ausgelöst worden, bei dem Polizei und Staatsanwaltschaft bisher trotz hohem Aufwand immer noch keine heisse Spur gefunden haben. Es ist die Fülle sich addierender Einzelfälle, die die volle Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit in Deutschland verlangen. So musste auch Verteidigungsminister Scharping «rechtsradikale Entwicklungen» in der Bundeswehr einräumen. Ein Oberfeldweibel aus Mecklenburg-Vorpommern wurde wegen einer Internet-Homepage mit neonazistischem Inhalt vom Dienst suspendiert. In Eisenach wurde ein 19-jähriges NPD-Mitglied im Zusammenhang mit einem Sprengstoffanschlag auf ein türkisches Imbisslokal festgenommen. Ebenfalls in Thüringen wurden zwölf mutmassliche Rechtsradikale wegen des Abspielens von Musik mit Nazi-Texten verhaftet. Nach einem versuchten Sprengstoffanschlag auf eine jüdische Familie in Bamberg wurde eine hohe Belohnung für Hinweise auf die noch unbekannten Täter ausgesetzt.