Frankfurter Rundschau 15.8.2000
Arafat wirbt für seine Deklaration
Palästinenser setzen auf Zeit
Von Inge Günther (Jerusalem)
Unverrückbare Termine gab es im Nahost-Friedensprozess nie. Auch jetzt mehren sich die Anzeichen, dass eine palästinensische Staatsdeklaration vom 13. September auf den 15. November verschoben wird, um Verhandlungen mit den Israelis mehr Zeit zu lassen.
Offiziell ist zwar allein der PLO-Zentralrat befugt, den Termin staatlicher Unabhängigkeit festzulegen. Das Gremium soll kurz vor dem 13. September darüber beschließen, wenn die Interimsverträge zwischen Israelis und Palästinensern ablaufen. Doch schon der diplomatische Marathon von PLO-Chef Yassir Arafat rund um den Globus - derzeit macht er Station in China - verdeutlicht, dass die Welt ein Wörtchen mitzureden hat. Und die hätte lieber einen Staat Palästina, der im israelischem Einvernehmen gegründet wird.
Mit Ausnahme Irans und Libyens haben selbst moslemische Länder Arafat gewarnt, dass eine "einseitige" Deklaration ins Nirgendwo führe. Der Tenor dort ist: Man ist bereit, einen Staat Palästina in jedem Fall anzuerkennen, rät aber dazu, den Verhandlungsweg auszuschöpfen. "Wir wollen keine Zusammenstöße zwischen beiden Seiten", drückte es Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak aus, "sondern bevorzugen eine Lösung".
Eine Haltung, die in Europa noch unmissverständlicher ausfiel. Nur bedingt erhielt Nabil Schaath - hochgehandelt als Anwärter für den Posten eines künftigen palästinensischen Außenministers - bei seiner Tour durch Mitgliedsländer der Europäischen Union Verständnis für die Position, wonach man auch von Staat zu Staat mit den Israelis verhandeln könne. Italien, Spanien und Frankreich haben nach seinen Worten zwar eingeräumt, dass die Berliner EU-Erklärung von 1999, die das palästinensische Recht auf Souveränität prinzipiell anerkennt, kein Vetorecht beinhaltet. In europäischen Hauptstädten wie London und Berlin bekamen die Palästinenser jedoch Druck zu spüren, ihr Lieblingsprojekt zu vertagen.
Zufrieden zog denn auch Israels amtierender Außenamtschef Schlomo Ben-Ami nach Gesprächen mit EU-Partnern Bilanz. Europa habe "sehr gut verstanden", dass "Israel nicht unter der palästinensischen Drohung einer Staatsdeklaration für den 13. September verhandeln wird".
Sogar in Russland, traditionell eher palästinensischen Belangen zugeneigt, zeigte sich Staatschef Wladimir Putin im überraschenden Einklang mit der europäischen Linie.
Die Frage nach einem Staat Palästina ist eben mehr als reine Terminsache. Gerade weil sich die Israelis nach verbreiteter Einschätzung kürzlich in Camp David "flexibler" verhielten, wird es eine Anerkennung seitens des Westens nur im Einklang mit Israel geben. Die wiederum ist Voraussetzung für saftige finanzielle Aufbauhilfen. Auch hätte Arafat bei einer einseitigen Deklaration sein wichtigstes politisches Kapital verspielt, das er mühsam während der Eiszeit im Friedensprozess unter Israels früherem Premier Benjamin Netanyahu, gewann - Washingtoner Sympathien für palästinensische Interessen.
Und schließlich bedeutet aufgeschoben nicht aufgehoben, zumal der neu taxierte Termin besondere Symbolkraft besitzt. Am 15. November 1988 verkündete der PLO-Nationalrat, damals im Exil, staatliche Unabhängigkeit.