Badische Zeitung, 15.8.2000
Athen ist über den türkischen Außenminister Cem verärgert / Schlappe für Entspannungspolitik
Auftrieb für Türkei-Gegner
Von unserem Mitarbeiter Niels Kadritzke
ATHEN. Die politischen Meteorologen in Athen vermelden nichts Gutes. Über der Ägäis stehen die Zeichen zwar nicht auf Sturm, aber im Verhältnis zum Nachbarland Türkei rechnet man erstmals seit August 1999 mit Turbulenzen.
Vor einem Jahr hatte die Entspannung zwischen Ankara und Athen begonnen. Die Erdbeben in der türkischen Marmara-Region und in Athen lösten in beiden Ländern nicht nur eine Welle gegenseitiger Hilfsbereitschaft aus, auch die Feindbilder erfuhren eine Art "seismische Erschütterung". Die machte es der Regierung Simitis möglich, eine Wende in der griechischen Ostpolitik zu vollziehen. Auf dem EU-Gipfel von Helsinki stimmte Athen im Dezember 1999 dem Beschluss zu, die Türkei als EU-Beitrittskandidaten zu akzeptieren.
Seitdem hat sich zwischen Griechenlands Außenminister Giorgos Papandreou und seinem Kollegen Ismail Cem eine Kooperation entwickelt, die manchen EU-Partnern zu vertrauensvoll dünkte. Wenn etwa Papandreou Experten nach Ankara entsendet, die ihre Kollegen in die Feinheiten einer EU-Bewerbung einweihen. Umso enttäuschter ist man jetzt in Athen über einen Artikel in der Turiner Zeitung La Stampa. Darin bekräftigte der türkische Außenminister nicht nur die harte Linie Ankaras in der Zypern-Frage. Er beklagte auch "die Unterdrückung der türkischen Bevölkerung im (griechischen) West-Thrazien".
Das wurde in Athen als doppeltes Foulspiel empfunden. Zum einen wird Ankara angesichts der Kurdenpolitik keine Lehrmeisterrolle in Minderheitenfragen zugestanden. Zum anderen fühlt sich Papandreou desavouiert, der wie kein anderer griechischer Politiker bemüht ist, die Defizite der Athener Minderheitenpolitik aufzuarbeiten. Dass ausgerechnet Cem solche Töne anschlägt, gibt den Kräften innerhalb und außerhalb der Regierung Auftrieb, die der Türkeipolitik des Außenministers keine Chance geben wollten.
Papandreou hatte seinen Kurs gegenüber Ankara stets mit der Hoffnung auf eine Art "Wandel durch Annäherung" begründet: Als EU-Kandidat, der sich an den menschen- und völkerrechtlichen Normen der Union orientieren müsse, sei die Türkei ein angenehmerer Nachbar. Diese Erwartung geht allerdings davon aus, dass der Wandel Zeit braucht. Papandreous Gegenspieler pochen dagegen auf kurzfristige Resultate. Verteidigungsminister Tsochatsopoulos klagt schon seit Helsinki von Ankara eine "Geste des guten Willens" ein.
Nachdem die Griechen im Juni erstmals gestattet haben, dass türkische Soldaten an einer Nato-Übung auf griechischem Boden teilnehmen, hat Ankara die Beteiligung griechischer Soldaten an einem Nato-Manöver, das im Oktober in der Türkei abgehalten wird, unter einem technischen Vorwand abgelehnt. Und der Oberbefehlshaber der türkischen Marine erklärte vergangene Woche, die Ägäis sei nach wie vor einer der aktuellsten Konfliktherde aller sieben Weltmeere. Bei solchen Tönen aus Ankara hat das griechische Militär keine Probleme, sein Rüstungsprogramm durchzusetzen, das für die nächsten fünf Jahre Ausgaben von elf Milliarden Dollar vorsieht. Papandreou hat Anfang Juni die Erwartung formuliert, auch das "militärisch-politische Establishment der Türkei werde sich früher oder später in die europäische Perspektive der Türkei einbinden lassen".
Die letzten Signale aus Ankara lassen vermuten, dass es eher später werden könnte. Sollte die nächste Zypern-Verhandlungsrunde, die am 12. September in New York beginnt, ebenso ergebnislos ausgehen wie die soeben beendete Genfer Runde, wäre der Spielraum auch für Papandreous Entspannungskurs ausgereizt. Ein Rückfall in die alten Konfliktreflexe ist aber auch in diesem Falle eher unwahrscheinlich. Inzwischen gibt es so viele Kontakte auf kultureller, wirtschaftlicher und touristischer Ebene, dass die öffentliche Meinung für die Kalter-Krieg-Parolen der Vergangenheit nicht mehr empfänglich ist. So gesehen haben die zehntausende türkischer Touristen, die diesen Sommer in Griechenland Ferien machen, die Großwetterlage über der Ägäis verändert.