Neue Zürcher Zeitung (CH), 16.08.2000
Aufschwung des staatlichen Fernsehens in Iran
Die konservative Bastion profitiert von den Zeitungsverboten
Der Druck auf die reformorientierte Presse in Iran hält an. Beinahe täglich treffen Berichte über die Verhaftung von Journalisten ein. Seitdem alle der einigermassen offen informierenden Blätter verboten sind, profitiert das staatliche Fernsehen vom entstandenen Informationsvakuum. Dies bewirkt eindeutig eine Stärkung des konservativen Lagers.
ber. Kairo, 14. August
Der starke Druck der Konservativen auf die reformorientierte Presse in Iran hat auch in den vergangenen Tagen nicht nachgelassen. Die Polizei verhaftete am Wochenende zwei Journalisten, wovon einer laut seiner Familie dem iranischen Präsidenten Khatami besonders nahe steht. Beide hatten im letzten Sommer und erneut im vergangenen April die durch die Justizverwaltung erlassenen, gegen reformorientierte Zeitungen gerichteten Erscheinungsverbote kritisiert. Kurz nach den Verhaftungen unterzeichnete die Hälfte der Abgeordneten des iranischen Parlaments einen offenen Brief, in dem diese die Weiterführung des Reformprozesses forderten. Würde er abgebrochen, so schrieben die Parlamentarier, gerate das gesamte islamische System in Gefahr. In dem Brief sprachen sie nicht das jüngste Eingreifen des obersten geistlichen Führers, Khamenei, an, mit dem er am Sonntag vor einer Woche eine Debatte zur Reform des Pressegesetzes vereitelt hatte. Beobachter meinen jedoch, dass der Brief der Abgeordneten als erste öffentliche Reaktion auf die erneute Knebelung der Reformpresse ausgelegt werden könne.
Vom Blühen zum Verdorren
Noch im letzten Herbst sprach man in Iran trotz der Schliessungen einiger Zeitungen
von einer sich prächtig entwickelnden liberalen Presse. Unter den rund
900 regelmässig erscheinenden Publikationen waren 34 Tageszeitungen. Diese
Vielfalt an Titeln erregte darum Aufsehen, da nach Angaben des Kulturministeriums
die Zahl sämtlicher Presseerzeugnisse in der Zeit nach der islamischen
Revolution und während des ersten Golfkrieges die Hundertergrenze nicht
überschritten hatte. Nach der Wahl von Präsident Khatami im Mai 1997
kam es zu einer wahren Explosion der lange zurückgehaltenen Meinungen zu
sämtlichen aktuellen Themen. Die Tageszeitung «Jameh» erreichte
in wenigen Monaten eine Auflage von 330 000 Exemplaren. Ihre Schliessung Mitte
1998 leitete die Welle von Verboten ein, von der bis heute rund 25 Tageszeitungen
ergriffen wurden. Zahlreiche Herausgeber wehrten sich dagegen, indem sie immer
wieder andere Zeitungen mit denselben Themen und Zielen, jedoch mit neuen Namen
auf den informationshungrigen Markt brachten. Doch auch diese Blätter ereilte
dasselbe Schicksal wie ihre Vorgängerinnen. Heute ist in Iran keine grössere
liberale Zeitung mehr erhältlich. Einer der Gründe für den Aufschwung
der freiheitlichen Presse in Iran ist die Verfassung. Sie erlaubt der Regierung
nicht, eine Vorzensur über Presseerzeugnisse auszuüben. Allerdings
hat das Justizministerium das Recht, Zeitungen zu verbieten.
Wie der Justizapparat, die Revolutionsgarden und die Sondergerichtshöfe steht auch die staatliche Rundfunk- und Fernsehanstalt unter der Aufsicht Khameneis und der Kontrolle der Konservativen. Inhalt und Form der Sendungen wurden deshalb vom Reformprozess kaum berührt. Ein Blick auf den Bildschirm macht das schnell klar. Bereits äusserlich spiegeln die Sprecher und Sprecherinnen das bewahrende Ideal, nicht aber den Wunsch nach mehr Freiheit der Reformpolitiker wider. So dürfen Fernsehansager weder Schlips noch Kragen tragen, die als Symbole des Imperialismus gelten. Stattdessen haben sie ausnahmslos einen Bart und ein kragenloses Hemd, falls sie nicht im langen Gewand und Turban erscheinen. Auch die Verhüllung der Ansagerinnen übertrifft mit dem Tschador und den mehrfachen Kopf- und Halsschleiern den mittlerweile in Iran gelockerten, sogenannten islamischen Kleiderkodex. Sogar in Spielfilmen darf eine Frau nie ohne Kopftuch gezeigt werden, und auch verheiratete Paare dürfen sich nicht berühren. Serien wirken deshalb künstlich und wirklichkeitsfremd. Podiumsdiskussionen bewegen sich im strengen, von den Konservativen abgesteckten Rahmen, in dem eine freiheitliche Debatte, wie in den Reformblättern üblich, tabu ist.
Lückenfüller
Dennoch registrieren sowohl die TV-Serien als auch die Nachrichtensendungen
des staatlichen Fernsehens in letzter Zeit erhöhte Einschaltquoten. Sie
füllen die Lücke auf, die durch das Verbot der grossen Teheraner Zeitungen
und der kleineren Regionalblätter entstanden ist. Fernsehen und Radio besitzen
ein weitgespanntes Netz von Korrespondenten im ganzen Land. Mit nationalen und
lokalen Informationssendungen versuchen sie politischen Einfluss zu nehmen und
die Zuschauer auf die Seite der Konservativen zu ziehen. So liess es sich beispielsweise
das staatliche Fernsehen nicht nehmen, ausführlich und kritisch über
die peinlichen Tumulte im Parlament zu berichten, die bei Khameneis Blockierung
der Debatte um das Pressegesetz entstanden waren.