junge Welt, 17.08.2000
Hungerstreik gegen Isolationshaft
Türkische Kommunistin protestiert gegen ihre Haftbedingungen in Belgien
In einem belgischen Gefängnis bahnt sich eine Justiztragödie an. Seit mehr als 30 Tagen ist die türkische Kommunistin Fehriye Erdal im Hungerstreik. Ihr gesundheitlicher Zustand ist nach Aussage ihres Anwaltes mittlerweile sehr schlecht. Das vermeintliche Mitglied der in der Türkei bewaffnet kämpfenden DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei- Front) protestiert mit dem Hungerstreik gegen ihre Inhaftierung in Belgien. Fehriye Erdal befindet sich seit September 1999 in Haft.
Festgenommen wurde die Mittzwanzigerin durch einen Zufall. Bei einem Brand in ihrem Wohnsitz im belgischen Seebad Knokke wurde ein Schußwaffenlager gefunden, das der DHKP-C zugerechnet wurde. Die türkischen Behörden beantragten sofort ihre Auslieferung. Sie werfen Erdal vor, in der Türkei an bewaffneten Aktionen der DHKP-C teilgenommen zu haben. Unter anderem soll sie 1993 an der Ermordung des türkischen Multimillionärs Sabanci beteiligt gewesen sein. Damals stürmte ein bewaffnetes Kommando die oberste Etage des Istanbuler Sabanci-Towers und erschoß den türkischen Großmogul, dem beste Kontakte zur faschistischen MHP, zur Mafia und dem Militär nachgesagt wurden. Die türkische Boulevardpresse feierte deshalb Erdals Festnahme als »zweiten großen Sieg über den Terrorismus« nach der Verhaftung Abdullah Öcalans im Februar vergangenen Jahres. Doch die »Freude« war verfrüht. Menschenrechtsgruppen wie »Peoples Rights Watch« intervenierten bei der belgischen Regierung und wiesen darauf hin, daß Erdal in der Türkei der Tod drohe. Denn der Bruder des ermordeten Konzernchefs Sabanci hat ein hohes Kopfgeld für alle vermeintlich am Mord Beteiligten ausgesetzt.
Die Proteste der Menschenrechtsinitiativen schienen von Erfolg gekrönt. Im Mai lehnte das belgische Justizministerium Erdals Auslieferung ab, weil ihr in dem türkischen Haftbefehl nicht Mord, sondern »der versuchte gewaltsame Umsturz der türkischen Verfassung« vorgeworfen wird. »Damit handelt es sich um einen politischen Prozeß, was die Auslieferung in die Türkei für uns unmöglich macht«, erklärte der belgische Justizminister Marc Verwilghen.
Unter dem Vorwand, daß die DHKP-C, deren Mitglied sie sei, die »öffentliche und innere Sicherheit Belgiens bedrohe«, wird Erdal bis heute in Einzelhaft gehalten. »Das belgische Innenministerium kann nicht in Kauf nehmen, eine Revolutionärin freizulassen, sieht es aber als normal an, die eigenen Gesetze zu mißachten und illegal zu handeln. Ich fordere ein Ende dieser Willkür und meine sofortige Freilassung. Bis meine Forderungen erfüllt sind, befinde ich mich im unbefristeten Hungerstreik«, erklärte Erdal am 11. Juli 2000.
Davon unbeeindruckt verschoben die belgischen Behörden ihren Haftprüfungstermin vor wenigen Tagen um einen Monat. Menschenrechtler befürchten nun, daß die Gefangene bei andauernder Nahrungsverweigerung, diesen Termin nicht mehr erleben wird.
Arian Wendel