Bieler Tagblatt (Schweiz), 17.08.2000
Schweizer in Auslieferungshaft:
Politiker intervenieren «Er müsste längst wieder frei sein»
Eine SP-Delegation will den Bundesbehörden Beine machen: Sie sollen sich für einen türkisch-stämmigen Schweizer einsetzen, der in Slowenien in Auslieferungshaft sitzt. Ihm droht in der Türkei die Todesstrafe.
Michael Gerber
«So tut doch endlich etwas.» Diesen eindringlichen Appell richtet die Berner SP-Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold ans Bundesamt für Polizei (BAP). Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen, wird sie morgen zusammen mit ihrem Rats- und Parteikollegen Alexander Tschäppät und alt Nationalrätin Angeline Fankhauser persönlich am Bundesrain 20 vorsprechen. Das Dreiergespann will sich bei der BAP-Spitze für Naci Oeztürk stark machen. Der türkisch-schweizerische Doppelbürger sitzt seit einem Monat in Slowenien in Auslieferungshaft.
Die Türkei hatte den 42-Jährigen im Sommer letzten Jahres international zur Fahndung ausgeschrieben. Sie wirft dem ehemaligen Gewerkschafter vor, 1980 an zwei Morden und an einem bewaffneten Überfall auf eine Polizeistation beteiligt gewesen zu sein. Sollte der im Juni Schweizer gewordene Türke tatsächlich ausgeschaft werden, droht ihm in seiner alten Heimat die Todesstrafe.
«Schweiz muss etwas tun»
So weit darf es nicht kommen, wenn es nach dem Willen der Parlamentarierdelegation geht. «Die Schweizer Behörden müssen sich dafür einsetzen, dass Naci Oeztürk rasch freigelassen wird», fordert Ruth-Gaby Vermot. Für die Nationalrätin ist es unverständlich, dass er trotz Unschuldsvermutung immer noch in Haft sitzt. Sie zweifelt nicht im Geringsten an der Unschuld des Inhaftierten. Habe er im Asylverfahren doch gegenüber dem Bundesamt für Flüchtlinge den Nachweis erbracht, dass die von der Türkei bereits Anfang der 80er-Jahre gegen ihn erhobenen Vorwürfe unhaltbar seien. Stossend findet die SP-Nationalrätin deshalb, dass die Schweiz trotz «beträchtlichem Handlungsspielraum vornehme Zurückhaltung» übe. Vermot: «Der Bund hätte bei Interpol wie auch bei der Türkei längst intervenieren müssen.»
«Hände sind uns gebunden»
Wir tun, was wir können, heisst es im Bundesamt für Polizei. Doch: Obwohl die Behörden vom internationalen Haftbefehl Kenntnis hatten, verzichteten sie darauf, Naci Oeztürk vor einer im Ausland drohenden Verhaftung zu warnen. «Uns waren die Hände gebunden», sagt BAP-Sprecher Jürg Pulver. Seiner Ansicht nach hätte sich die Schweiz durch eine Warnung der Begünstigung strafbar gemacht.
«Türkei nützt Interpol aus»
«Das ist komplett falsch», widerspricht Marcel Bosonnet dem BAP-Sprecher. Der Anwalt des Inhaftierten ist überzeugt, dass keine Begünstigung vorliegt, wenn die Behörden Schweizer Bürger oder anerkannte Flüchtlinge benachrichtigen, sobald diese von einem anderen Staat zur Fahndung ausgeschrieben werden. Im Gegenteil: «Das Bundesamt für Polizei hätte Naci Oeztürk warnen müssen, da es wusste, dass er von der Türkei aus politischen Gründen verfolgt wird und ihm bei einer Auslieferung Folter und die Todesstrafe droht», so der Anwalt weiter. In seiner Kritik am Vorgehen der Behörden geht Marcel Bosonnet noch einen Schritt weiter: «Die Schweiz wäre verpflichtet, bei Interpol zu intervenieren und den Widerruf des von der Türkei widerrechtlich erwirkten Haftbefehls gegen meinen Mandanten zu erwirken.» Sei es doch ein offenes Geheimnis, dass dieser Staat die internationale Polizeifahndung «für politische Zwecke» missbrauche. Bosonnet: «Der Türkei darf nicht länger gestattet werden, Menschen auf diese Weise zu verfolgen.»
Intervention unmöglich
Auf Marcel Bossonets Vorwurf, nicht interveniert zu haben, entgegnet der BAP-Sprecher: «Das ist nicht möglich.» Ein solches Vorgehen würde die Zusammenarbeit zwischen den Staaten beeinträchtigen. Der Anwalt hat deshalb wenig Hoffnung, dass das Bundesamt für Polizei seine Haltung ändern und doch noch bei Interpol und der Türkei vorstellig werden könnte.
«Haftdauer ist unzulässig»
Das morgige Treffen zwischen der Parlamentarierdelegation und der BAP-Spitze hält er trotz allem nicht für überflüssig. «Wenn die Schweiz dank der Fürsprache der Delegation wenigstens bei den slowenischen Behörden nachhaken würde, wäre viel gewonnen.» Marcel Bosonnet hofft, seinen Mandanten auf diese Weise möglichst bald frei zu bekommen. Dass sich die slowenischen Behörden bereits mehr als vier Wochen Zeit gelassen haben, um über ein Haftentlassungsgesuch zu entscheiden, findet er «absolut unerklärlich und unhaltbar». Bosonnet: «Andere europäische Länder brauchen dafür zwei bis drei Tage.» Ursache davon sei wohl eine «gewisse Unbeholfenheit der Slowenen mit internationalen Verträgen». Trotz dieser Zweifel an der slowenischen Rechtssprechung rechnet der Anwalt nicht damit, dass Naci Oeztürk an die Türkei ausgeliefert werden könnte. «Gemäss Menschenrechtskonvention darf niemand ausgeliefert werden, wenn damit gerechnet werden muss, dass er anschliessend gefoltert würde.»