Main-Echo, 17.08.2000
Ausländerfeindlichkeit kostet 6570 Mark Strafe
42-Jähriger hatte zwei Türken grundlos wüst beschimpft
Main-Spessart. »Ich lebe schon 30 Jahre in Deutschland, aber so etwas ist mir noch nicht passiert«, brachte ein 36-jähriger Türke als Zeuge vor Gericht seine Bestürzung über jenen Vorfall zum Ausdruck, der sich am 19. März kurz nach Mitternacht in der Luitpoldstraße in Marktheidenfeld ereignet hatte.
Der Türke befand sich in Begleitung eines 40-jährigen Landsmanns auf dem Heimweg, als sich plötzlich ein unbekannter Mann, der bereits an den beiden vorbeigelaufen war, umdrehte und bemerkte: »Ich verstehe war ihr sagt«. Dann setzte der Passant grundlos zu einer wüsten Beschimpfung an: »Kanaken«, »Scheißtürken, geht heim die Türkei«. Er beließ es nicht bei den ausländerfeindlichen Vokabeln und setzte noch einen oben drauf: »Hitler hat zu wenig vergast von euch« und »Deutschland den Deutschen«.
Als die erbosten Türken den Mann zur Rede stellen wollten, packte dieser den 36-Jährigen noch am Kragen. Durch zwei Tritte gegen das Schienbein konnte sich der Türke befreien und weglaufen. Den beiden Türken schickte der aggressive Passant noch hinterher: »Ich bin Staatsanwalt und werde dafür sorgen dass ihr ausgewiesen werdet«.
Bei dem Mann handelte es sich mitnichten um einen Justizbeamten, sondern um einen 42-jährigen deutschen Zeichner. Der saß am Mittwoch auf der Anklagebank des Amtsgerichts Gemünden. Er bestritt die ihm vorgeworfenen Straftaten und hatte gegen den entsprechenden Strafbefehl Einspruch eingelegt.
Die Beweisaufnahme brachte jedoch keine Entlastung für den Angeklagten. Das Gericht hatte keinen Zweifel daran, dass die Zeugenaussagen der beiden Türken im Kern der Wahrheit entsprachen. Die beiden Türken hatten dem 42-Jährigen sogar angeboten keine Anzeige zu erstatten, wenn er sich entschuldigen würde. Dies hatte der Zeichner jedoch abgelehnt.
Einzelrichter Dr. Rainer Paulus verurteilte den 42-Jährigen wegen Beleidigung in zwei Fällen und falscher Verdächtigung zu einer Geldstrafe von 6 570 Mark (90 Tagessätze zu je 73 Mark). »Das waren ganz massive und bösartige Beleidigungen, die man fast nicht mehr steigern kann«, sagte Paulus in der Urteilsbegründung. Wegen der menschenverachtenden Äußerung im Zusammenhang mit den Verbrechen Hitlers hatte der Staatsanwalt hatte sogar eine Geldstrafe von 8 400 Mark (120 Tagessätze zu je 70 Mark) gefordert.
Der falschen Verdächtigung hatte sich der Angeklagte schuldig gemacht, weil er gegenüber der Polizei wider besseres Wissen ausgesagt hatte, dass er zuerst von den Türken angegriffen und von einem dritten Türken mit einer Pistole bedroht worden sei. Der dritte Türke, ein Taxifahrer, war etwas später hinzugekommen. Was der Angeklagte aus einiger Entfernung als Pistole ansah, war wahrscheinlich ein Handy, mit dem der Taxifahrer einen Auftrag angenommen hatte. Denn unmittelbar danach war er wieder weggefahren.
Wie von einem Polizeibeamten bestätigt wurde, machte der Angeklagte zum Tatzeitpunkt einen stark betrunken Eindruck und befand sich in aggressiver Stimmung. Dass der 42-Jährige an den Ausländern seine alkoholbedingte Aggressivität abreagieren wollte, war für das Gericht deshalb ein mögliches Tatmotiv.
Der Verteidiger des 42-Jährigen versuchte die Glaubwürdigkeit der beiden Türken zu erschüttern und bezeichnete deren Darstellung als unglaubhaft. Mit seinen Argumenten »hier wird das Opfer zum Täter gemacht«, und »die Zeugen haben mit dem Angeklagten ein böses Spiel getrieben« versuchte er das Ergebnis der Beweisaufnahme auf dem Kopf zu stellen. Dass der Angeklagte keine Rassendiskrimierung betrieben habe und nicht ausländerfeindlich sei, nahm ihm das Gericht jedoch nicht ab. -bm-