Neue Zürcher Zeitung (CH), 18.08.2000
Kampf um Wasserreserven im Nahen Osten
Politischer Stillstand verunmöglicht regionale Kooperation
Von Heiko Wimmen*
Konflikte um Wasserressourcen erschweren einen Friedensschluss im Nahen Osten. Fachleute sehen in der Entsalzung von Meerwasser eine Möglichkeit, künftige Kriege um Wasser zu verhindern. Die dafür nötige regionale Zusammenarbeit liegt aber angesichts der gegenwärtigen politischen Differenzen zwischen Israel und seinen Nachbarn noch in weiter Ferne.
Ayman Rabi ist deprimiert. Der Ingenieur der palästinensischen Arbeitsgruppe für Hydrologie (PGH) ist gerade aus dem Dorf Ain Arik bei Ramallah zurückgekehrt. Eigentlich bemüht sich die PGH dort wie in den übrigen Autonomiegebieten in Cisjordanien und im Gazastreifen um die Verbesserung bestehender und die Erschliessung neuer Wasserquellen. Doch in Ain Arik ist alle Mühe umsonst. Der einzige Brunnen, zu dem die Dorfbewohner eine Reihe von schlüpfrigen Stufen hinunterklettern müssen, ist eigentlich seit Jahren bereits unbrauchbar. Vermutlich drangen Abwässer aus übernutzten Sickergruben des Dorfes ins Grundwasser. Infektionskrankheiten seien in dem Dorf verbreitet, berichtet Rabi resigniert. Die Quelle sei zur Brutstätte von Malariamücken geworden. Der Brunnen müsste sofort versiegelt werden. Doch eine Alternative bestehe nicht.
Auswirkungen der Dürre Ain Arik ist eines der insgesamt 150 Dörfer in Cisjordanien, in denen nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Btselem rund 220 000 Personen ohne fliessendes Wasser leben. Eine Leitung aus Ramallah wurde zwar schon zu Beginn dieses Jahres fertiggestellt, doch nach monatelangem Tauziehen mit der israelischen Verwaltungsbehörde um die notwendigen Genehmigungen ist nun, während der schlimmsten Sommerdürre seit über 30 Jahren, auch in Ramallah selbst der Wassernotstand ausgebrochen. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten sitzen buchstäblich auf dem Trockenen. In normalen Zeiten stehen ihnen durchschnittlich 50 bis 70 Liter Wasser täglich für den häuslichen Gebrauch zur Verfügung. Im hoffnungslos übervölkerten Gazastreifen hat jahrelange Übernutzung zudem den Salzgehalt des Grundwassers dramatisch in die Höhe getrieben. Als Folge davon haben Leber- und Nierenschäden in der Bevölkerung stark zugenommen. In Israel liegt der Verbrauch dagegen mit durchschnittlich weit über 200 Litern pro Tag auf mitteleuropäischem Niveau. Das Missverhältnis wird durch die geographischen Umstände verstärkt. Eine gerechtere Verteilung scheitert am Machtgefälle zwischen Besatzern und Besetzten.
Niederschläge fallen an der Ostküste des Mittelmeeres meist nur in den Wintermonaten, wenn frische Westwinde Regenwolken auf das überwiegend palästinensisch besiedelte cisjordanische Hochland treiben. Als Grundwasser hoher Qualität sickert der Regen in die israelische Küstenebene, wo das Wasser in Tel Aviv und Haifa den dortigen Bewohnern zugute kommt. Neue oder tiefere Brunnen zu bohren, war den Palästinensern nach der Besetzung des Westjordanlands durch Israel 1967 fast vollständig verboten. Zwar haben die bisherigen Abkommen zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde die Gewinnung von zusätzlich insgesamt 20 Millionen Kubikmetern Wasser pro Jahr erlaubt. Doch wegen behördlicher Einschränkungen konnten die Palästinenser trotz ausländischer Hilfe bis heute erst die Hälfte dieses Potenzials überhaupt nutzen.
Palästinensische Fachleute vertreten zudem die Meinung, mit einem Almosen abgefunden worden zu sein. Laut Jad Isaac, Vorsitzender des Applied Research Institute in Bethlehem, verbraucht Israel derzeit 80 Prozent der erneuerbaren Grundwasserreserven Cisjordaniens. Von den Wasserrechten als Anrainer mag er schon gar nicht sprechen. Denn Jordanwasser haben die Palästinenser bis heute keinen Tropfen erhalten. Nach einem 1955 von dem amerikanischen Diplomaten Eric Johnston entwickelten Plan sollten jährlich rund 400 Millionen Kubikmeter Wasser aus dem Jordanfluss an Israel gehen, über 700 Millionen an Jordanien, wozu damals auch noch Cisjordanien zählte. Heute saugt die israelische Wasserversorgung jährlich über 600 Millionen Kubikmeter aus dem Jordanbecken ab und leitet das Wasser bis in die Negev-Wüste. Den Rest zapfen die Syrer und die Jordanier aus dem Jordanzufluss Yarmouk ab. Die Frage, wie viel Wasser ein zukünftiger Palästinenserstaat aus dem Boden pumpen darf und wer wie viel Wasser aus dem Jordan bekommt, ist einer der wichtigsten Streitpunkte in den stockenden Nahostverhandlungen. Wasser ist in der politischen Diskussion des Nahen Ostens stets ein Nullsummenspiel: Mangel ist immer die Schuld des Nachbarn, der zu viel verbraucht. Hinzugewinnen kann niemand, ohne dass ein anderer verliert. Angesichts des explosionsartigen Bevölkerungsanstieges in der Region scheinen bewaffnete Konflikte um die knappe Ressource vorprogrammiert.
Externe Subvention
Einer, der nicht an diese Vision glaubt, ist Shaul Arlosoroff vom Truman-Institut
für Friedensforschung in Tel Aviv, zugleich Vorsitzender des Verbandes
der israelischen Wasser-Ingenieure. «Israel muss Konzessionen machen,
um in Frieden mit seinen Nachbarn zusammenzuleben. Wenn wir die Meerwasserentsalzung
ausbauen, gibt es beliebig viel Wasser, und am Ende ist es nur eine Frage des
Geldes.» Vier- bis fünfhundert Millionen Kubikmeter Wasser, ungefähr
ein Viertel seines derzeitigen Verbrauches, müsste Israel nach Arlosoroffs
Schätzungen an die Nachbarn abtreten. Meerwasserentsalzung könnte
diese Menge zu Kosten von 80 Cents bis einem Dollar pro Kubikmeter ersetzen;
andere Experten setzten die Kosten gar bei nur 60 Cents an.
Auch das derzeit in Israel verbrauchte Trinkwasser ist nicht umsonst. Knapp 0,4 Dollar pro Kubikmeter kostet die Versorgung Tel Avivs mit Jordanwasser, auf über einen halben Dollar steigen die Kosten in Beerscheba in der Negev- Wüste. Man müsste nur die Differenz zwischen den Kosten der Entsalzung und einem ökonomisch vertretbaren Wasserpreis abdecken, sagt der Hydrologe. Um den Wasserkonflikt im Nahen Osten aus der Welt zu schaffen, brauche es eine externe Subvention von rund 300 Millionen Dollar jährlich, rechnet er vor. Wenn man bedenke, dass ein moderner Krieg gegen 100 Millionen pro Tag kosten könne, werde klar, dass Kriege um Wasser nicht nur sinnlos, sondern auch unrentabel wären.
Dramatische Lage in Jordanien
Der Streit zwischen Palästinensern und Israeli um die Nutzung der Wasservorkommen
wird im Nachbarland Jordanien genau verfolgt, denn Wasserknappheit ist im haschemitischen
Königreich ein vorrangiges Problem. Den Jordaniern stehen täglich
pro Kopf im Durchschnitt nur 80 Liter Wasser für den häuslichen Gebrauch
zur Verfügung, kaum mehr als den Palästinensern in den besetzten Gebieten.
Doch selbst bei diesem knappen Verbrauch werden jedes Jahr rund 30 Prozent mehr
aus den Grundwasserschichten gepumpt, als die kärglichen Regenfälle
auffüllen können. Der Pegel der Grundwasservorkommen sinke kontinuierlich
und gleichzeitig nehme der Salzgehalt zu, berichtet Elias Salameh, ein Hydrogeologe
an der Jordanischen Universität. Er befürchtet, dass die Grundwasserreserven
im Oasengebiet von Azrak, rund 100 Kilometer östlich von Amman, in zehn
Jahren verbraucht sein werden. Wie in den meisten andern nahöstlichen Staaten
wird auch in Jordanien ein hoher Anteil an kostbarem Trinkwasser zur Bewässerung
in der Landwirtschaft verbraucht. Eine radikale Umorientierung auf kapitalintensive
und wassersparende Exportprodukte wie Schnittblumen und Avocados scheitert meist
nicht nur am fehlenden Kapital, sondern auch an politischer Rücksichtnahme
auf einflussreiche Landbesitzer.
Im vergangenen Sommer hat die jordanische Regierung zum ersten Mal damit begonnen, den Bauern Bewässerungswasser abzukaufen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Bauern, ihre Felder brachliegen zu lassen. Die Bewässerungswirtschaft werde schrumpfen, weil das Wasser dafür viel zu wertvoll sei, behauptet Salameh. Für die Bedürfnisse der Landwirtschaft sollten eigentlich nur geklärte häusliche Abwässer verwendet werden. Laut übereinstimmenden Schätzungen von Experten beläuft sich das Potenzial an wiederverwendbarem Abwasser in Israel, Palästina und Jordanien auf 1,8 Milliarden Kubikmeter pro Jahr.
Bereits heute nutzt Israel etwa 250 Millionen Kubikmeter, Jordanien immerhin 50 Millionen Kubikmeter, aus dieser kaum erschlossenen Quelle. Doch noch immer gelingt es auch in Jordanien einflussreichen Agroindustriellen, Lizenzen für Projekte wasserwirtschaftlichen Irrsinns zu erhalten. Wie etwa im Dizi-Gebiet an der Grenze zu Saudiarabien, wo mitten in der Wüste ausgerechnet bewässerungsintensiver Weizenanbau betrieben wird. Zur Produktion von einer Tonne Getreide würden dort etwa 3000 Kubikmeter fossiles, nicht erneuerbares Grundwasser verbraucht, berichtet Salameh mit einem Anflug von Verzweiflung. Dabei betrage der Reingewinn höchstens 20 Dollar pro Tonne Weizen.
Angst vor gegenseitiger Abhängigkeit
Doch auch auf der anderen Seite der Grenze, in Saudiarabien, wird kräftig
Wasser aus dem Dizi- Becken abgepumpt. Für die Jordanier liegt die Vermutung
nahe, dass sie sich ihren Teil holen müssen, solange noch etwas da ist.
Kooperation, meint Salameh, sei der einzige Weg zu einer effizienten Wasserwirtschaft
in der Region. An der Küste in Israel könne man günstig entsalzen
und dafür mehr Jordanwasser an Jordanien und Palästina abgeben. Oder
die Syrer könnten, wenn sie sich mit den Israeli über die Wasserverteilung
im Golan geeinigt haben, mehr Wasser an Jordanien abtreten. In Tel Aviv gibt
Arlosoroff noch eine weitere Variante zu bedenken. In Südlibanon flössen
jährlich 600 Millionen Kubikmeter Wasser aus den Flüssen Litani und
Awali ungenutzt ins Mittelmeer. Für Kosten von 0,3 Dollar pro Kubikmeter
könnte Israel dieses Wasser nach Tel Aviv leiten und den Libanesen etwa
0,2 Dollar pro Kubikmeter bezahlen.
Das Szenario wirkt bestechend: Wo Bevölkerungszentren an der Küste liegen, wie etwa in Israel, wird entsalzt. Hochgelegene Städte wie Amman werden aus dem Oberlauf von Flüssen versorgt. Abwässer, die heute vor allem ein Umweltproblem sind, würden zur Hauptwasserquelle der Landwirtschaft. Umgeleitet wird Wasser nur dort, wo es nicht vollständig genutzt werden kann. Die Kosten des Defizits würden geteilt. Doch funktionieren können solche Pläne nur, wenn alle Beteiligten bereit sind, sich in gegenseitige Abhängigkeit zu begeben - eine derzeit mehr als optimistische Vorstellung.
* Der in Beirut wohnhafte Autor ist freier Journalist.