Frankfurter Rundschau, 19.8.2000
Demirel sieht sich sehr gerne im Fernsehen
Der türkische Ex-Staatspräsident sucht massiv die Medienpräsenz / Hinweise für Rückkehr auf politische Bühne
Von Gerd Höhler (Athen)
Schon frühmorgens, vor dem ersten Sonnenstrahl, gehen die Männer in Position. Und erst spät am Abend, wenn die Lichter in der Wohnung am Güniz Sokak in Ankara verloschen sind, packen sie ihre Gerätschaften zusammen und fahren wieder ab. Tagein, tagaus steht ein Team des türkischen Staatsfernsehens TRT bereit, um über die Aktivitäten eines prominenten Pensionärs zu berichten, des früheren Staatspräsidenten Süleyman Demirel. Dem ist das Interesse nicht lästig. Er selbst hat die Fernsehleute angefordert.
Vor einigen Wochen beorderte Demirel den TRT-Generaldirektor Yücel Yener zu sich. Warum er nicht häufiger im Fernsehen auftauche, stellte der im Mai aus dem Präsidentenamt geschiedene Demirel den Rundfunkchef zur Rede. Seine Präsenz auf den Bildschirmen sei der Rolle eines früheren Staatspräsidenten unangemessen, monierte er. Die Beschwerde wirkte. Nun wird Demirel ständig von einem Kamerateam begleitet.
Im Fernsehen sah sich Demirel immer schon gern. Davon kann TRT-Generaldirektor Yener ein Lied singen. Als er vor drei Jahren den Chefposten bei der Staatsanstalt übernahm, war eine seiner ersten Taten die Neugestaltung der von ständigem Zuschauerschwund geplagten Abendnachrichten. Die Protokollabteilung, die die Zuschauer allabendlich mit einer halben Stunde Hofberichterstattung über die Repräsentationsaktivitäten des Präsidenten quälte, wurde kurzerhand aufgelöst, ihr Chef Okay Göcer versetzt.
Doch Demirel setzte schon bald die Rückkehr seines Vertrauten Göcer auf den Chefsessel der Nachrichtenredaktion durch. Ungeniert intervenierte der Präsident immer dann, wenn er sich im Staats-TV nicht ins rechte Licht gerückt sah. Kein anderer Politiker, so heißt es in Journalistenkreisen, nicht einmal der frühere Juntachef Kenan Evren, habe auf die TV-Redakteure so massiv Druck ausgeübt wie Demirel, der von seinen Bewunderern als "Baba" verehrt, von Kritikern dagegen wegen seines selbstherrlichen Gebarens "Sultan" genannt wird. Demirels Wunsch nach mehr TV-Präsenz wird von Beobachtern als Indiz für eine bevorstehende Rückkehr des 75-Jährigen in die aktive Politik gewertet. Schon unmittelbar vor seinem Abschied als Staatspräsident stellte Demirel klar, dass er sich nicht aufs Altenteil zurückzuziehen gedenkt. Er habe sich noch nie für die Aufzucht von Blumen oder die Hühnerhaltung interessiert. "Ich werde schon eine Beschäftigung finden, da sollte sich niemand täuschen", kündigte Süleyman Demirel an.
Die Zeitung Milliyet glaubt den Schlachtplan des Pensionärs zu kennen. Demirel, so meint das Blatt, rechne für den Herbst mit einer Verschärfung der Wirtschaftskrise. Dann, so angeblich sein Kalkül, werde die Nation "Baba" als Retter auf die politische Bühne zurückrufen.