junge Welt, 19.08.2000
Wendepunkt für die OPEC
Positive Bilanz nach Chávez-Reise. Breite Unterstützung der OPEC-Mitglieder für Erdölgipfel
Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat in einer öffentlichen Bilanz seine zehntägige Rundreise durch die OPEC- Mitgliedstaaten als einen wichtigen Schritt zum Schutz der Interessen Venezuelas und der Dritten Welt gefeiert. Wie der Staatschef in einer öffentlichen Radio- und Fernsehansprache nach seinem am Dienstag in Algerien zu Ende gegangenen Auslandsaufenthalt im Nahen Osten, Indonesien und Nordafrika versicherte, habe sich Venezuela einen wichtigen Platz auf der internationalen Bühne erkämpft.
Chávez kündigte an, auf dem Ende September geplanten zweiten OPEC-Gipfeltreffen die Werbetrommel für die Bildung einer OPEC-eigenen Bank zu rühren. Ein solches Geldinstitut der Organisation der erdölproduzierenden Länder (OPEC) hält der Staatschef für geeignet, das Joch des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf die OPEC- Mitgliedstaaten zu lockern. Das Thema der Auslandsverschuldung, so wurde Chávez am Donnerstag von der lokalen Tageszeitung El Universal zitiert, müsse jedoch auf internationalem Parkett besprochen werden.
Chávez, der am Samstag offiziell als neuer Präsident der ersten Bolivarianischen Republik Venezuelas vereidigt wird, erinnerte in diesem Zusammenhang daran, daß eine Reihe von Gläubigern den dreifachen Betrag ihres Kredites erstattet hätten, ohne ihre Außenstände tilgen zu können. Ein solches Prinzip, so der ehemalige Militäroffizier, »ist eine Erfindung des Teufels«.
Der Besuch des Iraks sowie Chávez' unnachgiebige Haltung, die Erdölpreise zu verringern, hat international für Aufsehen gesorgt. Vor allem die USA, der Hauptimporteur venezolanischen Erdöls, hatten die Zusammenkunft mit dem irakischen Staatschef Saddam Hussein und die Forderung nach einer Abschaffung der UN-Sanktionen heftig kritisiert.
Innerhalb Venezuelas zählte der 50 000 Kilometer-Marathon zu dem bislang umstrittensten Projekt des Präsidenten. Dennoch hat Chávez sein Ziel erreicht. In Zusammenkünften mit Regierungs- und Staatschefs der OPEC-Staaten konnte er den Rückhalt für ein zweites Gipfeltreffen in der 40jährigen OPEC-Geschichte mobilisieren.
Bei den Gesprächen mit seinen Gastgebern hatte er stets die Bedeutung unterstrichen, die OPEC zu stärken und ihren Einfluß auf dem internationalen Markt geltend zu machen. Bereits vor dem Beginn seiner Reise am 6. August hatte er versichert, an einer führenden Rolle Venezuelas innerhalb des Bündnisses interessiert zu sein. Venezuela, der drittgrößte Erdölexporteur der Welt, zählt zu den OPEC- Gründungsmitgliedern.
Seit seinem Amtsantritt im Februar letzten Jahres hat sich Chávez' »Öldiplomatie« durch eine uneingeschränkte Anerkennung der OPEC-Prinzipien und -Entscheidungen ausgezeichnet. Seit März 1999 versucht die OPEC, mit Produktionseinschränkungen und Quoten erfolgreich dem Verfall der Erdölpreise vorzubeugen. Damals hatten die Erdölpreise ihren Tiefststand der letzten 20 Jahre erreicht. Inzwischen hat sich die Situation drastisch verbessert, und die Preise für Erdöl haben sich verdreifacht. Diese Entwicklung hat die Erdölproduzenten in diesem Jahr bereits zweimal veranlaßt, die Fördermenge zu erhöhen. Doch für die Abnehmer, allen voran die USA, sind die Erdölpreise zu hoch. Der Durchschnittspreis für die sieben meistgehandelten Ölsorten der elf OPEC-Staaten und Mexikos gab das Kartell am Mittwoch mit 28,68 US-Dollar pro Barrel (159 Liter) an.
Chávez zufolge sind die Preise nicht hoch, sondern gerecht. »Wir müssen uns um unser Erdöl und die Preise kümmern, den Markt stabilisieren und die OPEC stärken«, hatte er mehrfach auf seiner letzten Rundreise erklärt. Chávez' erster Stopp auf dem Weg in den Nahen Osten war Saudi-Arabien.
Verschiedenen Berichten zufolge hatte die Regierung bereits darüber nachgedacht, aus dem Bündnis auszuscheren, indem sie die Produktionsquote um 500 000 Barrel erhöht. Seit der Erholung der Preise Ende der letzten Woche ist dieser Schritt jedoch ausgeblieben. König Fahd Ibn Abdel-Aziz al Sa'ud stimmte seinem venezolanischen Staatsgast zu, daß Maßnahmen zur Stabilisierung des internationalen Erdölmarktes ergriffen werden müßten. Außerdem sagte Saudi-Arabien die Teilnahme des Kronprinzen an dem Erdölgipfeltreffen in Caracas vom 27. bis 29. September zu.
Im Anschluß an seinen Saudi-Arabien-Aufenthalt flog der venezolanische Staatspräsident nach Kuwait, Katar und in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Alle drei Gastgeberstaaten erklärten ihre Zustimmung, in Caracas dabei zu sein. Im Iran, dem nächsten Reiseziel Chávez', begrüßte Präsident Mohammed Khatami den geplanten Gipfel als »wirkungsvollen Schritt« zur Stärkung der OPEC.
Nach diesem Meinungsaustausch begann der umstrittenste Teil der Chávez-Reise. Um nicht gegen das UN-Embargo zu verstoßen, wählte der venezolanische Staatspräsident den Landweg und stattete als erstes demokratisch gewähltes Staatsoberhaupt seit dem Golfkrieg 1991 den Irak einen offiziellen Besuch ab. Zwar hielten sich Iran, Saudi-Arabien und Kuwait, die als Gegner des Iraks auftreten, mit kritischen Kommentaren zurück. Dafür brachte Washington sein Befremden über »die schlechte dee« unmißverständlich zum Ausdruck.
Chávez konterte die Kritik, indem er darauf verwies, daß der Irak-Besuch die Folge einer souveränen Entscheidung sei, die sich ausschließlich auf Erdölfragen beschränke und die mit ideologischen Beweggründen nichts zu tun habe. Saddam Hussein wußte die Anti-Isolationspolitik des venezolanischen Staatschefs zu schätzen und sicherte künftigen OPEC- Strategien seine Unterstützung zu. Allerdings gilt es als gesichert, daß er der Einladung seines Gastes nicht folgen wird, an dem Erdölgipfeltreffen in Caracas teilzunehmen.
Der nächste Aufenthaltsort von Chávez war Indonesien, wo Staatspräsident Abdurrahman Wahid die Einladung nach Caracas akzeptierte. Beide politischen Führer unterstrichen die Bedeutung, die Erdölpreise zu schützen. Zudem setzten sie sich in einer gemeinsamen Erklärung für eine Abschaffung des UN-Embargos gegen den Irak ein.
Der nächste Zwischenstopp war Libyen, wo Chávez mit Muammar al-Ghaddafi zusammentraf. Auch hier trat der Venezolaner mit seiner Forderung, die OPEC zu stärken, offene Türen ein. Chávez warf den Industriestaaten vor, den Erdölstaaten ihre Bedingungen aufzwingen zu wollen. Ghaddafi, der aller Voraussicht nach nicht nach Caracas kommen wird, lobte seinerseits die »populäre Revolution«, mit der sich Chávez Ende letzten Monats im Amt bestätigen ließ. Im Rahmen der diesjährigen »Megawahlen« wurde der populistische Staatsführer am 30. Juli mit einer überwiegender Mehrheit und in Übereinstimmung mit der von ihm vorangetriebenen Verfassungsreform zum ersten Präsidenten der Bolivarianischen Republik Venezuela gewählt.
Chávez vorletzte Station war Nigeria, wo ihm Präsident Olusegun Obasanjo ebenfalls seine volle Unterstützung für den Erdölgipfel in Caracas zusagte. Abschluß der Rundreise bildete Algerien. Dort kam der venezolanische Staatspräsident mit Abdelaziz Bouteflika zusammen, der einen Besuch des September-Gipfels in Caracas in Erwägung zieht. Algerien hatte 1975 die bisher einzigen OPEC-Gipfelkonferenz ausgerichtet. OPEC-Generalsekretär Rilwanu Lukman, der letzte Woche Venezuela besucht hatte, bezeichnete das für Ende September angepeilte zweite Treffen als »Wendepunkt« für die OPEC-Politik.
Louis Cordova, Caracas