web de 20.08.2000 10:59
Ohne Deutschkenntnisse keine Herztransplantation
Klinik Bad Oeynhausen nimmt Türkin nicht in Warteliste auf - Oberarzt sieht
Nachsorge bei Sprachdefiziten gefährdet
Von AP-Korrespondent Froben Homburger
Frankfurt/Main (AP)Wegen fehlender Deutschkenntnisse hat die Spezialklinik Bad Oeynhausen einer schwer kranken Türkin die Aufnahme in die Warteliste für Herztransplantationen verweigert. Einen entsprechenden Bericht der türkischen Tageszeitung «Hürriyet» bestätigte am Wochenende der Oberarzt der Transplantationsambulanz, Gero Tenderich. Der Mediziner sprach von einer schwierigen Entscheidung, die sich keinesfalls pauschal gegen Ausländer richte. Die Familie der 56-jährigen Fatma Elaldi, die seit ihrer Geburt schwer herzkrank ist, reagierte mit Unverständnis auf die Absage.
Tenderich sagte der Nachrichtenagentur AP, der Mangel an Spenderorganen zwinge zu einer strengen Auswahl der Kandidaten für eine Transplantation. Ob ein herzkranker Mensch auf die Warteliste gesetzt werde, hänge auch von den Erfolgsaussichten der Behandlung ab. Und die Erfahrung zeige, dass große Sprachdefizite die lebenswichtige Nachbetreuung der Patienten häufig blockierten. Nach Schätzungen des Oberarztes sterben von den Ausländern, die sich in Deutschland einer Herztransplantation unterziehen, 40 bis 50 Prozent in den Jahren nach dem Eingriff, weil sprachliche und sozio-kulturelle Probleme eine ausreichende Nachsorge verhindern.
Fatma Elaldi, die seit 1979 in Neuwied lebt und kaum Deutsch spricht, war im vergangenen Jahr ein Schrittmacher eingepflanzt worden. Die behandelnden Ärzte machten der Frau nach Angaben ihrer Tochter Rukiye Bektas schon damals klar, dass sie langfristig nur mit einem neuen Herz weiterleben kann. Anfang 2000 ließ sich Elaldi fünf Tage lang in dem zur Universitätsklinik Bochum gehörenden Herzzentrum Bad Oeynhausen untersuchen. Bei der abschließenden Besprechung kündigten die Spezialisten an, die 56-Jährige auf die Warteliste für eine Verpflanzung zu setzen.
Doch im Februar kam der schriftliche Befund. Und darin hieß es plötzlich: «Anders als mit der Patientin zunächst besprochen» müsse «insbesondere unter Berücksichtigung der sozialen Situation und der nicht vorhandenen Sprachkenntnisse eine Indikation zur Herztransplantation als nicht gegeben» angesehen werden. Für die Familie sei diese Nachricht ein Schock gewesen, berichtete Tochter Bektas der AP. Die fließend Deutsch sprechende 28-Jährige wandte sich erneut an das Herzzentrum und versicherte, dass sie ihrer Mutter rund um die Uhr als Dolmetscherin zur Verfügung stehe. Doch die Mediziner ließen sich nicht umstimmen. «Das ist doch Wahnsinn», sagte Bektas.
Oberarzt Tenderich kann die Bestürzung der Türkin verstehen, zumal Elaldi ohne Zweifel ein neues Herz brauche. Der Spezialist wirbt aber auch umgekehrt um Verständnis: «Wir haben einfach zu wenig Spenderorgane, und wir können Patienten mit besseren Erfolgsaussichten nicht übergehen.» Fehlende Sprachkenntnisse verschlechterten nun einmal die Prognose, ähnlich wie das auch bei Rauchern und Alkoholikern der Fall sei. Die Bundesärztekammer verweist in ihren Richtlinien zur Organtransplantation darauf, dass Patienten bei schwerem Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch die Aufnahme in die Warteliste für Herzverpflanzungen versagt werden kann. Das gleiche gelte, wenn medizinische Richtlinien zur Behandlung, zu Arztbesuchen und zur Einnahme von Medikamenten nicht zuverlässig eingehalten würden.
«Das Problem ist die Nachsorge»
«Das Problem ist nicht die Transplantation, sondern die Nachsorge», erklärte Tenderich. Da das Immunsystem mit Medikamenten geschwächt werden müsse, um eine Abstoßung des neuen Organs zu verhindern, könne es jederzeit zu schweren Infektionen kommen. Angesichts solcher Komplikationen und der Gefahr einer Abstoßung müsse der Patient lebenslang engen Kontakt zu den Herzspezialisten halten. Dies sei aber bei Ausländern ohne Deutschkenntnisse oft nicht möglich. Zwar seien die meisten Angehörigen anfangs sehr engagiert und hilfsbereit, berichtete Tenderich. Doch häufig breche der Kontakt irgendwann ab, und viele der Patienten stürben.
Für Elaldi gibt es aber trotz der Absage aus Bad Oeynhausen neue Hoffnung. Mittlerweile wird sie in der Universitätsklinik Gießen von Oberarzt Yasar Bilgin betreut, Mitbegründer der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung. Er vermittelte die 56-Jährige an das Herzzentrum Münster, das die Türkin ungeachtet der fehlenden Deutschkenntnisse in die Warteliste aufnahm. Doch der Leidensweg von Fatma Elaldi ist damit nicht zu Ende: Pro Jahr stehen bundesweit nur etwa 500 Herzen für Verpflanzungen zur Verfügung. Benötigt werden mehr als doppelt so viele. Und rund 20 Prozent der Patienten auf den Wartelisten sterben noch vor dem rettenden Eingriff.