taz 21.8.2000
Karlsruhe erweitert Recht auf Asyl
Neue Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Schutz vor "staatsähnlicher" Verfolgung in Bürgerkriegsregionen gilt auch, wenn in großen Gebieten noch gekämpft wird. Flüchtlinge aus Afghanistan haben damit Anspruch auf politisches Asyl
von CHRISTAN RATH
Das Bundesverfassungsgericht hat den Schutz von Flüchtlingen vor "staatsähnlicher" Verfolgung deutlich verbessert. In einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung erklärte Karlsruhe, dass auch nicht staatliche Machthaber, wie etwa die afghanischen Islamisten, "politische Verfolgung" im Sinne des Grundgesetzes ausüben können. Flüchtlinge aus derartigen Gebieten können nun leichter Asyl oder Abschiebeschutz erhalten.
Erfolg hatte damit die Verfassungsbeschwerde von sieben afghanischen Flüchtlingen. Diese hatten zur Zeit der kommunistischen Herrschaft für den afghanischen Staat gearbeitet und flohen Anfang der 90er-Jahre vor den Nachstellungen durch die islamistischen Mudschaheddin. In Deutschland erhielten sie aber kein Asyl, weil die Herrschaft der Gotteskrieger in Afghanistan noch nicht gefestigt genug sei. In zwei Grundsatzurteilen erklärte das Berliner Bundesverwaltungsgericht 1997 und 1998: "Machtgebilde", die sich während eines Bürgerkriegs bilden, seien nur dann "staatsähnlich", wenn "die Fronten über längere Zeit hinweg stabil sind und allenfalls noch in Randbereichen gekämpft wird". Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten wie Afghanistan oder Somalia konnten deshalb in Deutschland in der Regel nur eine kurzfristige "Duldung", aber kein sicheres Aufenthaltsrecht erhalten. Dem ist nun das Bundesverfassungsgericht entgegengetreten und hat die Berliner Urteile aufgehoben. Zwar sei politische Verfolgung "grundsätzlich staatliche Verfolgung", hieß es in Karlsruhe. Zugleich wurden aber die Anforderungen für das Vorliegen von "quasi-staatlicher" Verfolgung durch Bürgerkriegsparteien deutlich reduziert. Nach Karlsruher Lesart kommt es dabei weniger auf die Sicherheit der Außengrenzen vor militärischen Angriffen an. Vielmehr gehe es darum, dass in einem "Kernterritorium" der neuen Machthaber relativ ruhige Zustände herrschen. Wenn dann aber einzelne Menschen oder Gruppen in diesem Gebiet von den Machthabern "durch gezielt zugefügte Rechtsverletzungen aus der konkreten Gemeinschaft ausgeschlossen" werden, dann könne dies, so Karlsruhe, einen Asylanspruch auslösen.
Den Beschluss fasste eine mit drei Richtern besetzte Kammer, die sich auf eine Karlsruher Entscheidung von 1989 stützte. Damals hatte Karlsruhe die Verfolgung durch "staatsähnliche Organisationen" allerdings nur am Rande erwähnt - ohne konkrete Maßgaben aufzustellen. Insofern kann der jetzige Beschluss als Leitentscheidung angesehen werden. Kaum nachvollziehbar ist deshalb, dass das Gericht hierzu nicht einmal eine Pressemitteilung veröffentlichte.
(Az: 2 BvR 260/98 u. a.)