Tagesspiegel, 22.8.2000
Chatami gibt nicht auf
Der Präsident hält trotz Machtkampf mit der Opposition an seinem Amt fest. Staatschef nennt Verbot von Medien "inakzeptabel".
Der iranische Präsident Mohammed Chatami hat am Montag jeden Gedanken an Rücktritt angesichts des Machtkampfes mit anderen politischen Lagern im Lande abgelehnt. "Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten mit anderen politischen Lagern und trotz einiger großer Probleme trete ich nicht zurück", sagte Chatami in einem Interview mit dem staatlichen Fernsehen. Damit spielte er auf die konservative Opposition an. Die von Konservativen dominierte Justiz hatte in den vergangenen Monaten über 20 Publikationen verboten, die dem liberalen Präsidenten nahe standen.
"Es stimmt, dass die vollziehende Gewalt manchmal nicht vollständig in den Händen des Präsidenten ist", sagte Chatami. Nach der Verfassung hat nicht der Präsident, sondern der oberste geistliche Führer, derzeit Ajatollah Ali Chamenei, das letzte Wort in Staatsangelegenheiten. So hatte Chamenei kürzlich eine Parlamentsdebatte über ein neues Pressegesetz verboten.
Chatami verurteilte das harte Vorgehen der konservativen Justiz gegen die reformorientierte Presse. Sowohl die Methoden der Gerichte als auch die von ihnen angeordneten Schließungen von Zeitungen seien "inakzeptabel", sagte Chatami. Der reformorientierte Präsident warf der Justiz vor, die Schlussfolgerungen eines von ihm eingesetzten Untersuchungsausschusses zum Übergriff der Polizei auf ein Studenten-wohnheim der Universität Teheran vor mehr als einem Jahr nur "zum Teil" in Betracht gezogen zu haben. Der Machtkampf zwischen den Reformern und den Konservativen in Iran sorgt im Ausland für Unruhe über den künftigen Kurs des Landes.
Chatami sagte, er hege die Hoffnung, dass die verbotenen Zeitungen ihre Arbeit bald wieder aufnehmen könnten. Einzelheiten dazu wollte er nicht nennen. Unter einem restriktiven Pressegesetz ist es den iranischen Medien verboten, die Verfassung und die geistliche Führung des Landes zu kritisieren.
Seit seiner Wahl zum Präsidenten im Mai 1997 steht Chatami unter starkem Druck der konservativen Geistlichkeit unter dem Führer der islamischen Revolution, Ayatollah Ali Chamenei. Das Staatsoberhaupt und seine konservativen Anhänger werfen Chatami vor, in Iran politische Reformen durchsetzen zu wollen, die der Westen und besonders die USA ihm diktiert hätten. Vor einer Woche rechtfertigte Chatami seine Politik der Öffnung als einzige Zukunftschance für sein Land.
Außerdem habe die Justiz nur über "bestimmte Ereignisse" während der Studentendemonstrationen für mehr Demokratie im Juli vergangenen Jahres geurteilt, sagte Chatami in dem Gespräch mit drei Journalisten, unter ihnen der Chef der amtlichen Nachrichtenagentur IRNA, Fereidun Werdinedschad.
Bei den größten Protesten seit der islamischen Revolution 1979 waren offiziellen Angaben zufolge drei Menschen getötet worden. Ein Militärberufungsgericht sprach Anfang Juli den ehemaligen Polizeichef von Teheran und 17 seiner Beamten frei, die zuvor wegen des Übergriffs auf die Studenten verurteilt worden waren. Daraufhin warfen die Reformer der Justiz Parteilichkeit zu Gunsten der Polizei vor, die wie die Streitkräfte unter dem Oberbefehl des Staatsoberhauptes Chamenei steht.