Basler Zeitung (CH), 23.8.2000
Türkei: Sezer lässt Ecevit auflaufen
Der türkische Staatspräsident Sezer weigert sich unter Berufung auf die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, einen Erlass von Ministerpräsident Ecevit zu unterzeichnen. Die Öffentlichkeit ist in der Frage gespalten.
Istanbul. Mit zitternder Stimme trat Ministerpräsident Bülent Ecevit am Montag vor die Presse und sprach von einer betrüblichen und besorgniserregenden Krise in der Staatsführung. Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer hatte sich, wie in der BaZ vom Dienstag kurz gemeldet, das zweite Mal geweigert, einen Erlass zu unterschreiben, der die Entlassung von Beamten vorsieht, die des religiösen Radikalismus oder des Separatismus verdächtig sind.
Berufung auf die Verfassung
Sezers Auffassung ist, dass mit dem Erlass Bestimmungen ausgehebelt werden, die in Gesetzen festgelegt sind, und dies wiederum könne nur durch ein Gesetz geschehen, das im Parlament einzubringen wäre. Ecevit hatte argumentiert, Sezer masse sich mit seiner Weigerung, den Erlass zu unterschreiben, die Rolle des Verfassungsgerichtes an. Vor allem aber sei der Staat mit einer ernsten Bedrohung konfrontiert, denn wenn der Staat aufhöre, so höre auch das Recht auf, auf welches Sezer sich berufe. Dieser Vorwurf allerdings lässt Sezer, der Vorsitzender des Verfassungsgerichtes war, bevor ihn Ecevit zum Präsidenten vorschlug, völlig unbeeindruckt. Der Jurist zitiert da nur die Verfassung, in der steht, dass kein Staatsorgan über dem Gesetz stehe. Folglich könne auch die Regierung nichts ohne gesetzliche Grundlage tun und er als Staatspräsident dürfe bei so etwas auch nicht mitmachen. Die Öffentlichkeit hat sich gespalten, die Mehrheit der Presse bewertet die Sorgen Ecevits und des Militärs wegen Islamisten und kurdischen Nationalisten höher als Sezers Beharren auf strenger Rechtsstaatlichkeit. Führende Juristen hingegen unterstützen meist Sezers Position. Mittlerweile beginnen sich auch die Gewerkschaften auf Sezers Seite zu schlagen. Ridvan Budak, lange Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbandes und seit kurzem Abgeordneter in Ecevits eigener Demokratischen Linkspartei (DSP), befürchtet gar, der neue Erlass könne zu einer Atmosphäre der Denunziation und Einschüchterung von Beamten führen, ähnlich der Kommunistenjagd der McCarthy-Ära in den USA. Siyami Erdem, Vorsitzender der Konföderation der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, befürchtet auch einen Missbrauch der neuen Regelung im Dienste der politischen Patronage. Insbesondere die an der Koalition mit Ecevit beteiligte ultranationalistische MHP versuche in grossem Umfang, ihre Leute im öffentlichen Dienst unterzubringen. Dazu sei es nötig, andere Beamte zu entlassen.
Ecevits Rückhalt wackelt
Der bis in die Reihen seiner eigenen Partei reichende Widerstand der Gewerkschaften dürfte genau zu dem gehören, was Ecevit befürchtet. Dazu kann aus unterschiedlichen Gründen noch leicht Widerstand aus anderen Ecken des Regierungslagers kommen. Ecevit hat in letzter Zeit zu oft erfahren, dass auf die Regierungsmehrheit als Abstimmungsmaschine im Parlament kein Verlass ist. Deshalb scheute sich Ecevit lange, Sezer nachzugeben und aus seinem Erlass einen Gesetzentwurf zu machen und ihn der Volksvertretung vorzulegen. Da er aber Sezer nicht zwingen kann zu unterschreiben, musste er nun doch in den sauren Apfel beissen. Dem Ansehen der Türkei als Rechtsstaat wird es nicht schaden. Jan Keetman