junge Welt, 23.08.2000
Hungern gegen Zwangsarbeit
Asylbewerberleistungsgesetz: Iranischer Flüchtling verweigert seit fünf Wochen die Nahrungsaufnahme
Seit fünf Wochen befindet sich der iranische Asylbewerber Ehsan Mehdizadeh aus Osnabrück in einem unbefristeten Hungerstreik. Er will damit gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und das Arbeitsverbot für Flüchtlinge protestieren. Der 31jährige, der seit etwa einem Jahr in Deutschland lebt und hier einen Asylantrag gestellt hat, nehme ausschließlich Wasser zu sich, berichteten Flüchtlinge aus der Gemeinschaftsunterkunft in Hagen (bei Osnabrück) gegenüber junge Welt. Mehdizadehs Gesundheitszustand sei »sehr ernst, aber noch nicht lebensbedrohlich«.
Nach Angaben des Niedersächsischen Flüchtlingsrates will der Iraner vor allem erreichen, daß ihm ein höheres Taschengeld ausgezahlt wird. Weil er sich geweigert habe, eine ihm zugewiesene gemeinnützige Arbeit zu verrichten, hätten die Behörden das monatliche Taschengeld von 40 auf 20 Mark gekürzt. Nach den Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten Flüchtlinge in den ersten drei Jahren ihres Aufenthaltes in Deutschland ihre - im Vergleich zur Sozialhilfe um 25 Prozent reduzierten - Leistungen in Form von Sachleistungen und Gutscheinen. Haushaltsvorstände erhalten 80 Mark, alleinstehende Flüchtlinge 40 Mark Taschengeld. Damit müssen sie unter anderem Fahrt- und Telefonkosten, Anwaltshonorare, Schulbücher, Kosmetika und Arzneimittel bezahlen.
Anläßlich des Hungerstreiks haben mehrere Flüchtlingsorganisationen Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling zu politischen Initiativen gegen das Asylbewerberleistungsgesetz aufgefordert. Bartling solle beim Bundesarbeitsministerium die Abschaffung des Arbeitsverbotes für Flüchtlinge anmahnen, heißt es in einem Offenen Brief. Die vom Arbeitsverbot betroffenen Asylbewerber dürften auch nicht länger zu »Zwangsarbeiten« verpflichtet werden.
Bartling solle dafür Sorge tragen, daß der hungerstreikende Iraner »angesichts seines besorgniserregenden Zustandes« Bargeld statt Gutscheine erhalte, schreiben die Unterzeichner des Offenen Briefes, darunter Niedersachsens Flüchtlingsrat, die Initiative »Kein Mensch ist illegal« und die Iranische Gemeinde. Nach Auffassung der Organisationen bedeutet die Gutscheinausausgabe eine »Diskriminierung« und »Demütigung« der Flüchtlinge.
Auch der katholische Caritas-Verband protestierte inzwischen gegen die »diskriminierende Leistungsgewährung« an Asylbewerber. Die Benachteiligungen der Flüchtlinge müssen beendet und alle Hilfeleistungen wieder auf das Niveau der Sozialhilfe angehoben werden, verlangt der Referent für Migration bei der Osnabrücker Caritas, Ludger Haukap. Die Unterstützung solle zudem bar und nicht länger in Form von Gutscheinen ausgezahlt werden.
Reimar Paul