Frankfurter Rundschau, 23.8.2000
Ecevits Spiel
Früher oder später werden sich in den Streit zwischen Premier und Präsident auch die eigentlichen Machthaber, die türkischen Militärs, einschalten
Von Gerd Höhler
Wenige Entscheidungen dürfte der türkische Premierminister Bülent Ecevit so bereuen wie seinen im Frühjahr gefassten Entschluss, den Verfassungsjuristen Ahmet Necdet Sezer zum Staatspräsidenten vorzuschlagen. Die Hoffnung, Sezer werde brav repräsentieren, staatstragende Sonntagsreden halten und alle Vorlagen der Regierung willig abzeichnen, hat sich nicht erfüllt.
Mit Recht verweigerte der Präsident jetzt die Unterschrift unter ein Dekret, mit dem sich die Regierung ermächtigen wollte, tausende Staatsbeamte ohne Angabe von Gründen und ohne Rechtsmittel zu feuern. Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen ist das unvereinbar.
Dass Ecevit den Präsidenten zuerst mit offenen Drohungen zur Unterschrift drängte und ihn nun des Verfassungsbruchs beschuldigt, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Demokratieverständnis des greisen Regierungschefs. Nicht Sezer, sondern Ecevit beschwört nun einen Verfassungskonflikt herauf.
Die Krise könnte ernste Konsequenzen haben. Denn früher oder später werden sich in den Streit auch die eigentlichen Machthaber, die türkischen Militärs, einschalten. Schließlich geht es bei der Kontroverse um die Entfernung mutmaßlicher religiöser Fanatiker aus dem öffentlichen Dienst, also um das Lieblingsthema der Generäle. Sie werden deshalb irgendwann ein Machtwort sprechen. So wie vor drei Jahren, als sie den islamistischen Premier Necmettin Erbakan zum Rücktritt zwangen.