Financial Times Deutschland, 25.8.2000
Neuer Koalitionsstreit um Rüstungsgeschäft mit der Türkei
In der rot-grünen Koalition bahnt sich ein neuer Streit um ein deutsch-türkisches Rüstungsgeschäft an. Wie das Bundeswirtschaftsministerium am Donnerstag in Berlin bestätigte, wird das deutsche Unternehmen Fritz Werner Anlagen für eine Munitionsfabrik in der Türkei liefern.
Die Bundesregierung hatte zuvor eine entsprechende Ausfuhrgenehmigung erteilt. Die Grünen übten ebenso wie Menschenrechtsorganisationen scharfe Kritik an der Genehmigung. "Es ist vollkommen unakzeptabel, dass eine solche Entscheidung getroffen worden ist", sagte die Bundestagsabgeordnete Angelika Beer der "Frankfurter Rundschau". Nachdem klar sei, dass keine deutschen Panzer an die Türkei geliefert werden dürften, müssten "die gleichen Kriterien auch für Waffen und Munition gelten". Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Claudia Roth, sagte dem Blatt: "Das ist ein klarer Verstoß gegen die Rüstungsexportrichtlinien und politisch falsch."
Zusage der alten Bundesregierung schafft rechtliche Verpflichtung
"Es hat zu diesem Thema einige Voranfragen bei uns gegeben, die allesamt positiv entschieden wurden", sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums der Financial Times Deutschland. Weiter hieß es aus dem Bundeswirtschaftsministerium, die Genehmigung gehe auf Voranfragen zurück, die bereits unter der alten Regierung positiv entschieden worden seien. "Von daher bestand eine rechtliche Verpflichtung", betonte das Ministerium. Es reagierte damit auf einen entsprechenden Bericht der "Rheinischen Post".
Danach soll die Firma Fritz Werner den Zuschlag für die Lieferung einer Anlage zur Herstellung von Gewehrmunition erhalten haben. Das Geschäftsvolumen belaufe sich auf etwa 90 Mio. DM, heißt es in dem Bericht. Vertragspartner des deutschen Lieferanten in Geisenheim bei Wiesbaden sei das türkische Verteidigungsministerium. Die dortige Armee brauche neue Munition für ihre Gewehre, weil die NATO die Munition vom Kaliber 7.62 auf 5.56 umgestellt habe.
Bereits die Frage, ob eine Lieferung des Kampfpanzers Leopard II an die Türkei bei Anforderung genehmigt werden sollte, hatte zu einer Krise der rot-grünen Koalition geführt. Die Gegner eines Panzerexports in die Türkei befürchten, dass die Militärfahrzeuge gegen die Kurden eingesetzt werden könnten.
Scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen
Die Hilfsorganisation Amnesty International nannte das jüngste Rüstungsgeschäft mit der Türkei "einen weiteren Skandal in der langen Reihe von Rüstungstransfers aus der Bundesrepublik". Es sei "ein Schlag ins Gesicht der Opfer von Menschenrechtsverletzungen", sagte der ai-Rüstungsexperte Mathias John am Donnerstag in Berlin. Die Genehmigung zu diesem Geschäft müsse sofort widerrufen werden, wenn nicht sichergestellt werden könne, dass die produzierte Munition nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitrage. Medico international berichtete, auch Menschenrechtsorganisationen in der Türkei nähmen "mit blankem Entsetzen die Lieferung einer ganzen Munitionsfabrik durch Deutschland zur Kenntnis".
CDU/CSU kritisiert 'Zick-Zack-Kurs' der Regierung
Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Paul Breuer, begrüßte die Lieferung an den NATO-Partner Türkei dagegen und forderte eine Gleichbehandlung mit Griechenland. Zugleich kritisierte er den "Zick-Zack-Kurs" der rot-grünen Rüstungsexportpolitik. "Während beim Verkauf von Panzern an die Türkei unter Hinweis auf die Menschenrechtslage eine Exportgenehmigung nicht erteilt werden soll, kann die Munitionsfabrik mit dem Segen der Bundesregierung und des grünen Außenministers exportiert werden", sagte der Oppositionspolitiker.