junge Welt, 25.08.2000
Ist das Leben für Asylbewerber in Deutschland aussichtslos?
jW fragte Fatma Campinare, Sprecherin des Wanderkirchenasyls
F: Vor einem Jahr hat das Wanderkirchenasyl für sein Engagement gegenüber Flüchtlingen aus Kurdistan den Aachener Friedenspreis erhalten. Seit längerer Zeit sind seine Mitarbeiter jedoch von Abschiebung bedroht und werden krimimalisiert. Widerspricht sich das nicht?
Offenbar nicht. Auf der einen Seite bekommen wir, wie im letzten Jahr am 1. September, einen Preis verliehen, und auf der anderen Seite sind wir ständig von Abschiebung bedroht. Das Asylgesetz und die deutschen Menschenrechte sind in der Konsequenz ungerecht. Letzte Woche wurde von uns ein Mitglied, Mehmet Sagir, in Köln festgenommen. Es besteht die Gefahr, daß er abgeschoben wird, obwohl dem Auswärtigen Amt bekannt ist, daß Flüchtlingen aus dem Wanderkirchenasyl in der Türkei die Folter droht. So ist es bereits Yusuf Demir bei seiner Abschiebung im Frühjahr 2000 ergangen. Die Ausländerbehörde gibt sogar Mehmet die Schuld an der Festnahme, weil er die Räume des Wanderkirchenasyl verlassen hat. Die Behörden behaupten, daß nichts passieren könne, wenn man die Einrichtung nicht verließe. Aber im Endeffekt ist es egal, wie wir uns verhalten.
F: Seit wann gibt es das Wanderkirchenasyl?
1998 wurde es von Flüchtlingen, Kirchengemeinden und der Aktion »kein mensch ist illegal« in Nordrhein-Westfalen gegründet. Der Türkei ist diese Einrichtung ein Dorn im Auge, weil wir in ihren Augen eine Unterorganisation der PKK sind. Bei tatsächlicher Auslieferungen sind unsere Mitglieder besonders bedroht, weil unsere Namen überall bekannt sind.
F: Wie viele Menschen konnten beim Wanderkirchenasyl bislang untergebracht werden?
Im Moment sind wir ungefähr 451 Menschen, darunter auch Kinder. Im letzten Jahr nach der Einzelprüfung haben ungefähr 80 Leute ein Bleiberecht und um die 100 einen legalen Aufenthaltsstatus bekommen.
F: Inwieweit sind Sie von polizeilichen Aktionen bedroht?
Das Ausländeramt kann uns jederzeit festnehmen. Wenn ich z. B. meinen Raum verlasse und in die Stadt gehe, muß ich damit rechnen, verhaftet zu werden. Ich, als Sprecherin des Friedenspreises und des Wanderkirchenasyls, bin durch meinen Bekanntheitsgrad besonders gefährdet. Für unsere Mitglieder ist die Situation ziemlich aussichtslos. Ständig droht uns von der Ausländerbehörde die Abschiebung. Sie sieht einfach nicht, daß viele, auch ich, sehr gerne in ihr Land zurückkehren würden, aber das aufgrund der politischen Lage nicht können.
F: Wie wollen Sie in Zukunft auf die Situation von Asylbewerbern aufmerksam machen?
Wir planen am Samstag eine Aufführung mit anschließender Demonstration in Aachen. In den Theaterszenen werden Situationen nachgespielt, die sich bei der Ausländerbehörde und im Gefängnis tatsächlich ereignen. Die Situation in der Ausländerbehörde wollen wir darstellen, indem wir Schilder tragen, die auf unsere Lebenssituation aufmerksam machen: »Ich habe meine Tochter verloren«, »Ich habe keine Verwandten mehr« oder »Ich werde in die Türkei abgeschoben«. Die dargestellte Ausländerbehörde interessiert sich jedoch nicht für unsere individuellen Belange. Sie wird auf jedes Schild dieselbe Antwort geben: »Abschieben!« Am Ende werden die Asylbewerber von Polizeibeamten abgeführt. Sehr bedauerlich ist nur, daß die Politiker in keiner Weise Interesse zeigen. Ich habe die Grünen und verschiedene Ministerien angeschrieben, aber sie wollen diese Aufführung einfach nicht sehen.
Interview: Marlies Witte
*** Demonstration: 26. August, 13 Uhr, Kugelbrunnen, Aachen