Frankfurter Rundschau, 26.08.2000
Türkei-Geschäft entfacht Streit in der Koalition
Berlin verweist bei Rüstungsexport auf Zusagen der Kohl-Regierung / Grüne Abgeordnete verurteilen Genehmigung
Von Pitt von Bebenburg
Die rot-grüne Bundesregierung war nach eigenen Angaben durch Beschlüsse der Kohl-Regierung gebunden, den Export einer Munitionsfabrik in die Türkei zu genehmigen. Dennoch kritisierten Politiker von Grünen und SPD die Entscheidung.
BERLIN, 25. August. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) hat das neuerliche Rüstungsgeschäft mit der Türkei verteidigt. Die türkische Seite habe sich mit "mehreren Voranfragen seit 1997" an die Bundesregierung gewandt, die "alle positiv beschieden wurden", sagte Müllers Sprecherin Regina Wierig am Freitag in Berlin. Dadurch seien "rechtliche Verpflichtungen" entstanden. Müller sagte der Rheinpfalz, die Lieferung verstoße nicht gegen die neuen Rüstungsexport-Richtlinien, sonst hätte der Bundessicherheitsrat nicht zugestimmt. In diesem Papier heißt es, dass die Bundesregierung Exporte ablehnt, "bei denen hinreichender Verdacht besteht, dass sie ... zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden".
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Kerstin Müller, meint deshalb, dass der Export der Munitionsfabrik "mit den heutigen Richtlinien nicht vereinbar" ist: "Wenn wir über diese Voranfrage heute zu entscheiden hätten, hätten wir das nicht gebilligt." Doch komme man an den Zusagen der Kohl-Regierung "politisch nicht vorbei". Ihre Fraktionskollegen Angelika Beer und Christian Simmert verurteilten laut Agenturen den Beschluss. Simmert forderte, die Fraktion müsse nach Wegen suchen, den Export noch zu verhindern. Beer verlangte von der Bundesregierung Auskunft, ob es sich tatsächlich um eine "Altlast" handele. Wenn dies der Fall sei, hätte Rot-Grün "offensiv mit so einem Thema umgehen" müssen, meint die Verteidigungspolitikerin. Außenminister Joschka Fischer (Grüne) verteidigte hingegen indirekt die Genehmigung. Solche Entscheidungen hätten stets Kompromisscharakter. Laut Agenturen warnte er vor übertriebener Aufregung.
Auch in der SPD-Fraktion gab es Widerspruch. "Aus menschenrechtlicher Situation betrachte ich die Genehmigung als zu früh", urteilte der Abgeordnete Rudolf Bindig. Die Türkei befinde sich bei der Menschenrechtslage "in einer Umbruchphase".
Die alte Bundesregierung hatte kurz vor dem Machtwechsel auch genehmigt, dass die Türkei eine eigenständige Produktion von Gewehren der deutschen Firma Heckler & Koch aufbauen darf. Beide Projekte stehen im Zusammenhang damit, dass die türkischen Streitkräfte von den deutschen G-3-Gewehren des Kalibers 7,62 Millimeter auf das in der Nato gängige Kaliber 5,56 umrüsten. Die Bundeswehr etwa hat nach Angaben des Verteidigungsministeriums seit Ende 1996 das kleinere Kaliber eingeführt. Dadurch könne man mehr Munition mitnehmen, man habe weniger Rückschlag und die Ausbildung sei leichter. Nach Angaben der Firma Fritz Werner kommt die Türkei mit dem Umstieg auf das kleine Kaliber "ihren Verpflichtungen als Nato-Partner nach". Ein "kürzlich veröffentlichter Nato-Erlass" verordne die Umstellung der Gewehrmunition. Die Nato wies dies zurück. Das Bündnis lege Wert auf eine gewisse Standardisierung der Munitionsarten, sagte Sprecher Frank Salis. Es gebe aber keinen Zwang, "eine Munitionsfabrik zu bauen".