junge Welt, 26.08.2000

Interview
Was macht Fritz Werner in der Türkei?

jW sprach mit Hans Branscheidt, Nahost-Koordinator der Nichtregierungsorganisation medico international


F: Medico international unterstützt Menschenrechtsgruppen in der Türkei. Was bedeutet die jetzt bekanntgewordene Genehmigung für einen neuen Rüstungsexport durch die Bundesregierung für die Arbeit solcher Gruppen?

Erstens hatten sich diese Gruppen alle darauf verlassen, daß der Beschluß der Bundesregierung vom Frühjahr, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern, weiter gilt. Darauf haben sich alle Menschen dort verlassen. Und nun wird die Türkei wieder aufmunitioniert, und zwar mit Munition von einem Kaliber und von einer technischen Zielbestimmtheit, die nur dazu da ist, in bürgerkriegsähnlichen Situationen oder in Nahkampfsituationen eingesetzt zu werden. Sei es in Kurdistan oder sei es in anderen Teilen des Nahen Ostens.

F: Nach Aussagen von Regierungsvertretern ist der Grund für diese Umstellung des Kalibers eine Auflage der NATO- Partner an die Türkei.

Das ist mir zuviel an Sachzwang. Man muß nicht, man kann auf dieses Kaliber umrüsten, zumal auch die anderen Kaliber noch lange benutzt werden. Die Türkei will ihre Armee innerhalb der nächsten 25 Jahre für einen unglaublichen Betrag von 100 Milliarden Dollar modernisieren. Es entsteht eine völlig neue NATO-Armee mit vollkommen neuen Aufgaben, die wie gesagt strategisch in Richtung Iran, Irak, Syrien zielen. Aber auch in Richtung auf die Kaukasus- Republiken. Hier soll die Türkei regionale Großmacht und vor allem Ordnungsmacht werden.

F: Haben Sie Beweise, daß die Munition, die schon in der Vergangenheit durch diese Firma, die auch jetzt die Genehmigung bekommen hat, im Kampf gegen Kurden eingesetzt worden ist?

Nicht nur wir behaupten, daß die meisten der etwa 38 000 Menschen, die in diesem Krieg umgekommen sind, durch die Munition von Heckler & Koch, durch NATO-Munition umgekommen sind. Das ist eine allgemein bekannte Tatsache, die Human Rights Watch genauso mit uns teilt wie alle Menschenrechtsorganisationen. Wir wissen definitiv, daß diese Munition und auch sogenannte Grenzbeobachtungsdetektoren und andere Geräte zeitweilig auch ausgeliehen worden sind und den Bürgerkriegsparteien im Kaukasus zur Verfügung stehen. Sozusagen im Leasingverfahren macht die Türkei das. Sie übt mit Waffen Anbindungsprozesse aus, sie beeinflußt jetzt schon und destabilisiert bestimmte Regionen jeweils mit den Waffen, für die sie auch Lizenzen bekommt. Und die Lizenzgeber, etwa in Deutschland, die an den Lizenzen enorm verdienen, können natürlich scheinheilig sagen, sie haben die Lizenz der Türkei übergeben und sind damit nicht mehr verantwortlich dafür, wofür die Türkei diese Waffen einsetzt. Das ist ein wunderbarer Deal für beide Seiten. Und deswegen können auch immer alle so tun, als wüßten sie nichts, als dächten sie nichts, als hätten sie nichts vor.

F: Die Genehmigung wurde der Firma Fritz Werner aus Geisenheim erteilt.

Der Name Fritz Werner ist mir seit über 25 Jahren bekannt. Das ist einer der größten Waffenproduzenten oder Produzenten von Zusatzgeräten, waffentauglichen Angelegenheiten, der schon vor 25 Jahren den Iran, den Schah von Persien beliefert hat. Das ist eine eingeführte Größe im internationalen Waffenmarkt - genauso wie Heckler&Koch in Süddeutschland. Was früher mal Krupp war, das wird heute durch diese Firmen vertreten.

Interview: Jana Frielinghaus

* medico international unterstützt die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in der Türkei. Dafür kann unter dem Stichwort »Türkei« auf das medico-Konto 1800 bei der Stadtsparkasse Frankfurt (BLZ 50050201) Geld gespendet werden.