Kölner Stadtanzeiger, 26.08.2000
Interview "Dabei wird dann die Weste grau"
Siegfried Martsch ist Türkei-Experte und besucht seit 1970 die Region. In den vergangenen zwei Monaten wirkte der ehemalige NRW-Landtagsabgeordnete der Grünen (1990 bis Mai 2000) an türkischen Projekten mit, die die Erzeugung von Windenergie und den Bau von Kläranlagen zum Ziel haben. Von 1995 bis 1998 hatte Martsch wegen seiner kritischen Haltung zu den Kurdenprozessen in der Türkei Einreiseverbot.
Herr Martsch, wie beurteilen sie den Beschluss des Bundessicherheitsrates, den Export einer Munitionsfabrik in die Türkei zu genehmigen?
Martsch:: Man muss da unterscheiden. Die grüne Seele sagt natürlich grundsätzlich Nein zu Rüstungsgüter-Ausfuhren aller Art. Aber mit der grünen Seele allein kann man keine Regierungsverantwortung tragen. Die Grünen müssen endlich lernen, dass man sich an internationale Vereinbarungen und verbindlicher Zusagen früherer Regierungen zu halten hat.
Um die Lieferung des Leopard II gab es im vergangenen Jahr einen Riesenkrach in der Regierung.
Martsch: Richtig, aber ich denke, dass die Munitionsfabrik damit nicht vergleichbar ist. Man sollte das niedriger hängen, wie Außenminister Joschka Fischer das angedeutet hat. Es geht hier um Nato-Beschlüsse, eine einheitliche Munition einzuführen, und die Statuten lassen eine Ausfuhr zu.
Bei den Leopard-Panzern hieß es, die könnten nicht gegen Kurden eingesetzt werden. Das trifft für Gewehr-Munition nicht zu.
Martsch: Ich war selbst bei der Bundeswehr Mitglied einer Leopard-Besatzung und weiß daher, dass der Panzer tatsächlich nicht für einen Bürgerkrieg geeignet ist. Aber er ersetzt natürlich im Westen der Türkei Kräfte, die dann in den Kurdengebieten eingesetzt werden könnten. Zu der Munition sage ich: Die Lieferung der Fabrik an die Türkei ist von den im Januar erneuerten Grundsätzen zu deutschen Rüstungsexporten gedeckt. Es geht ja auch darum, endlich diese Politik der Maximal-Positionen aufzugeben, die die Friedensbewegung, auch die Grünen und die Linke allgemein in dieser Frage eingenommen hat. Das ging nach dem Motto: Wir fordern alles, sonst gibt's nichts - und damit bleibt die eigene Weste rein und die Wirklichkeit hat sich um kein Jota verändert.
Wie sollte sich denn die Bundesregierung verhalten?
Martsch: Politik macht man in kleinen Schritten, sie erfordert Kompromisse, harte Arbeit - und dabei wird die Weste grau. Aber es gibt keine Alternative. Deshalb ist eine klare, faire und glaubwürdige Position der Bundesrepublik gegenüber der Türkei notwendig, indem man aufrichtig den EU-Beitritt in Aussicht stellt, den Weg dahin aber in kleinen Schritten beschreitet und die liberalen Kräfte in der Türkei stärkt. Auch muss das Militär eingebunden werden, sonst wird es keinen echten Wandel geben.
Sehen Sie denn Anzeichen einer Entwicklung hin zu mehr Rechtsstaatlichkeit?
Martsch: Ja, die sehe ich, gar nicht in den großen politischen Fragen, sondern sozusagen am Rande. Der Umweltschutz spielt mittlerweile eine größere Rolle, eine Art TÜV ist geplant, der derzeitige Präsident Sezer ist ein sehr liberaler Politiker. Da sind viele zarte Pflänzchen, die man sorgsam pflegen muss. Das sollten auch die Grünen können.
Interview: Stefan Sauer