Die grau gewordenen "Wölfe" jaulen auf
Türkei: Erstarken der Nationalisten MHP-Chef Devlet Bahceli will die Geister der Vergangenheit bannen.
Von unserem Korrespondenten JAN KEETMAN
ISTANBUL. Es war die reine Provokation für die Parteiführung, was die Delegierten der Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) auf dem Parteikongreß aufführten. Ausgerechnet in der für den Kongreß angemieteten Abdi-Ipekci-Sporthalle in Istanbul wollte Yavuz Caylan für den Kreisvorsitz kandidieren. Ipekci, Chefredakteur der "Milliyet" und Vertrauter des jetzigen Premiers Bülent Ecevit, war 1979 von Leuten aus dem Umfeld der MHP ermordet worden. Caylan wurde - ebenso wie der spätere Papst-Attentäter Ali Agca - der Mittäterschaft bezichtigt und verurteilt. Caylan zog zwar daraufhin seine Kandidatur zurück, aber allenthalben drängen Kandidaten mit schmutzigen Flecken, das heißt Berührungspunkten zur blutigen Vergangenheit der Partei und ihrer als Jugendorganisation funktionierenden "Idealistenklubs", in die erste Reihe. Letztere sind unter der Bezeichnung "graue Wölfe" zu trauriger Berühmtheit gelangt. Ebendiese Geister der Vergangenheit will Parteichef Devlet Bahceli loswerden. Bahceli möchte die MHP, die bei den Parlamentswahlen vor gut einem Jahr zur zweitstärksten Kraft wurde und eine Koalition mit den Sozialisten und den Konservativen einging, gern weiter öffnen. In dieses Konzept passen die alten "Helden" nun einmal nicht hinein: 3000 Mitglieder wurden ausgeschlossen. Bahceli traut man den eisernen Besen, mit dem er die Partei säubern will, gar nicht zu. Der 52jährige Assistenzprofessor für Ökonomie wirkt bleich und steif, das Reden ist nicht seine starke Seite, und ein Lächeln kommtihmauch kaum aus. Die MHP mußte in ihrer Regierungszeit bereits einige schwere Brocken schlucken. Weder wurden ihre Mitglieder scharenweise in den Staatsdienst aufgenommen, noch wurde das Wahlversprechen eingelöst, wonach Frauen überall das Kopftuch tragen können. Auch als eine Amnestie, unter die auch MHP-Mitglieder fallen sollten, am Widerstand des damaligen Präsidenten Süleyman Demirel scheiterte, fügte sich Bahceli überraschend schnell. Selbst die Aufschiebung der Hinrichtung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan akzeptierte er letztlich. Nur die Basis zieht in dieser Frage nicht mit. Der Fall Öcalan entwickelt sich zunehmend zum Streitpunkt - an ihm läßt sich der Unmut der an sich autoritätsfixierten Partei gegen den staatstragenden Kurs am leichtesten mobilisieren. Daß die Partei nie mit ihren irrationalen und faschistischen Mythen gebrochen hat, zeigte der Vorschlag, Kamil Turan zum Präsidentschaftskandidaten zu nominieren. Der Hitler-Übersetzer und unverhohlene Anhänger des Nazi-Führers ist in der MHP hochangesehen. Die Ideologie der Nationalisten ist eben immer noch eine krude Mischung, in der Begriffe wie Ehre, Abstammung, Volk, Nation, Sitte, Männlichkeit und Rache auftauchen.