Türkei streitet um "Radikalenerlass"
Präsident lehnt Dekret ab
Thomas Götz
ROM, 25. August. Seit Wochen liefert die Regierung in Ankara dem seit dem Frühjahr amtierenden Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer eine erbitterte Kraftprobe. Streitpunkt ist eine Art "Radikalenerlass", den Premier Bülent Ecevit vorgelegt hat. Das entsprechende Dekret würde die Entlassung von Beamten erleichtern, die im Verdacht stehen, islamischen Fundamentalisten nahe zu stehen oder Separatismus zu befürworten. Für die Entlassung würden Berichte von zwei Inspektoren und die Zustimmung eines Ministers genügen. Dagegen aber stellt sich Sezer.
Der erste Etappensieg ging diese Woche an den Präsidenten. Sezer verweigerte zum zweiten Mal seine Unterschrift und zwang Ecevit damit, das Dekret zurückzuziehen. Ecevit steht in dieser Frage unter dem Druck der Generale, die in der türkischen Politik nach wie vor ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Seit 1997 fordern sie im von ihnen dominierten Nationalen Sicherheitsrat effizientere Instrumente zur Bekämpfung von kurdischen und islamischen Extremisten. Alle Gesetzesentwürfe sind jedoch bisher im Parlament gescheitert. Daher versuchte es der Premier per Dekret - und scheiterte am Einspruch des Staatsoberhaupts.
Präsident Sezer hat sich nicht gegen den Inhalt der Norm gewandt, sondern die Form kritisiert. Er steht auf dem Standpunkt, Staatsbeamte dürften nur auf Grund geltender Gesetze, nicht aber auf Grund eines Dekrets entlassen werden. Der Regierung wird nun nichts Anderes übrig bleiben, als im Parlament eine Mehrheit zu suchen. Ob ihr das gelingen wird, scheint höchst ungewiß, denn selbst in Teilen der Regierungskoalition ist der Radikalenerlass umstritten. Gewerkschaften und kritische Medien hatten stets gewarnt, eine solche Regelung würde der Willkür Tür und Tor öffnen.