Raketenbau im Irak mit Knetmaschinen?
Bundesnachrichtendienst und »Bild« warnen vor neuer Gefahr aus Bagdad.
Von Rüdiger Göbel
Die Intentionen könnten gegenteiliger nicht sein: Während die Vereinten Nationen dieser Tage in mehreren Berichten auf die verheerenden Folgen internationaler Sanktionen beispielsweise im Irak aufmerksam machen (siehe Seite 8) und ehemalige Rüstungskontrolleure der UNO das Zweistromland militärisch weiter am Boden liegen sehen, warten die Bild-Zeitung und der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) mit der Toperkenntnis auf, Bagdad könne demnächst mit Mittelstreckenraketen selbst Ziele in Deutschland ins Visier nehmen.
Über die Springerzeitung Bild ließ Pullach am Freitag die von Bagdad angeblich ausgehende Gefahr verbreiten: »Vom BND geortet - Saddams geheime Raketenfabrik«. Allen internationalen Rüstungskontrollen der vergangenen Jahre zum Trotz produziert der Irak demnach derzeit eine Kurzstreckenrakete. Dies geht jedenfalls aus dem Anfang des Jahres erstellten BND-Bericht zur »Proliferation von Massenvernichtungsmitteln und Trägerraketen« hervor, den Bild nun als Grundlage für ihre Freitagssensation nutzte.
Laut Bild arbeiten in der Fabrik mit dem Namen »El Mamun Factory« rund 250 Techniker an einem geheimen Raketenprogramm. Die Anlage, bestehend aus mehreren Fabrikhallen, befindet sich 40 Kilometer südwestlich der Hauptstadt. Dort baue der »Irre von Bagdad« (Bild) derzeit die Feststoff-Kurzstreckenrakete ABABIL-100, die eine Reichweite von 150 Kilometer habe. Hussein lasse zudem Raketen mit einer Reichweite von 3 000 Kilometern entwickeln. Die vom Springerblatt angegebenen genauen Zielkoordinaten der Anlage wiederum wollte eine Sprecherin des BND gegenüber junge Welt nicht bestätigen. In der von Pullach verbreiteten Kurzstudie zur Proliferation befänden sich nur allgemeine Angaben und Erkenntnisse. »Doch alles weitere kann man sich ja über die UNSCOM und andere Berichte im Internet zusammensuchen«, so BND-Sprecherin Rausche.
Laut dem US-Amerikaner Scott Ritter, der bis 1998 im Rahmen der UNSCOM-Mission als Waffeninspekteur den Irak kontrollierte, verfügt das Zweistromland seit langem über keinerlei Massenvernichtungswaffen mehr (siehe junge Welt vom 22.August). Irak sei seit 1994 zwangsabgerüstet, das Wirtschaftsembargo mithin nicht mehr gerechtfertigt. Auch die ehemalige Länderchefin des Welternährungsprogramms im Irak, die deutsche Diplomatin Jutta Burghardt, urteilt im junge Welt-Gespräch, »das Land liegt am oden« (siehe Seiten 2 und 3 der Beilage).
Wieso die vermeintliche Raketenfabrik vom BND, nicht aber von den Waffeninspektoren der Vereinten Nationen entdeckt und zerstört worden sei, konnte in Pullach nicht beantwortet werden. Auch wie notwendige Materialien und Ausrüstungen in das seit zehn Jahren international isolierte Land gekommen sein sollen, ließ man gegenüber junge Welt offen. »Sehen Sie, solche Länder sind sehr findig. Die Beschaffung findet über Umwege und Drittländer statt.« Problematisch bei den Sanktionskontrollen seien beispielsweise Dual-Use-Güter. »Eine Knetmaschine kann doch für alles mögliche verwendet werden«, so Rausche.
Nicht verknüpfen will man in Pullach das verheerende Wirtschaftsembargo, an dessen unmittelbaren Folgen im Irak mehr als eineinhalb Millionen Menschen gestorben sind, mit der Anschaffung von Waffen. »Proliferation und Sanktionen haben nichts miteinander zu tun. Erstere ist mit letzteren nicht in den Griff zu bekommen.« Gleichwohl will der BND »keinen ommentar« abgeben zur Frage, ob das Irak-Embargo weiter aufrechterhalten werden sollte. »Das ist einzig eine politische Entscheidung«, so Rausche. Und die muß, BND-Analyse hin, Bild-Bericht her, die rot-grüne Regierung in Berlin treffen.