junge Welt 28.08.2000

Kommentar

Bomben-Angies Gewissensbisse

Angelika Beer heult sich beim »lieben Joschka« aus

Angelika Beer macht Urlaub. Den hat sie sicherlich bitter nötig, da sie wahrscheinlich immer noch an den Folgen der Schlafstörungen laboriert, an denen sie nach eigener Darstellung litt, als sie den Arm für den Einsatz deutscher Bomberpiloten gegen Jugoslawien hob. Doch die böse Welt verleidet ihr sogar, an der Costa del Sol »dem leisen Wellenschlagen am Strand zu lauschen«, wie sie in einem Brief an den »lieben Joschka« via »Welt am Sonntag« verlauten ließ. Überhaupt offenbart Frau Beer, die selbst in den heißesten Tagen ihrer Propagandareden für den NATO-Krieg ihre schwere Lederjacke Marke »Autonomer Straßenkampf« nicht ablegen mochte, äußerst sentimentale Seiten. »Ich blicke auf das Buch von Erich Fried >Einbruch der Wirklichkeit<. Und in Gedanken reflektiere ich Erlebtes: Giftgasopfer in irakisch- Kurdistan, rollende Ex-NVA-Panzer im kurdischen Südosten der Türkei, Mordanschlag auf unseren Freund Akin Birdal, Folter in Gefängnissen.«

Es erscheint ihr offenbar kaum faßbar: Wie kann der »liebe Joschka« unter diesen Umständen eine Munitionsfabrik an die Türkei liefern lassen. Denn, so Beer in ihrem Brief: »Munition ist zum Schießen da«. Bingo, das hat der Fischer bestimmt noch gar nicht gewußt.

Allerdings: Ein bißchen entspannt-nostalgisches Urlaubsfeeling scheint bei der kriegspolitischen Sprecherin der Grünen doch aufgekommen zu sein. Inbrünstig beschwört sie die alten Zeiten, wo man gegen »das Verschweigen oder das Ignorieren massivster Menschenrechtsverletzungen in der Türkei« noch ein »breites Menschenrechtsbündnis« zustande bekommen habe, in dem, man glaubt es kaum, »auch Mitglieder der Grünen aktiv waren«. Das waren noch Zeiten. Und jetzt? Selbst am Strand erreichen Beer »Empörung und Enttäuschung von medico international und anderen Menschenrechtsorganisationen«, die sie allerdings messerscharf als »Versuche, die nächste Regierungskrise heraufzubeschwören«, analysisiert. Bei allen sentimentalen Gefühlen für dahingemetzelte Kurden: Das geht zu weit. Doch es kommt noch dicker für Nato-Angie. Bald müsse sie bei dem großen Friedensfest »Einen Kuß für die ganze Welt«, das am 2. September in Köln stattfindet, ihren »kurdischen und türkischen Freunden« erklären, daß das jetzt alles ganz anders ist.

Kopf hoch, Frau Beer, das werden Sie schon durchstehen. Und der mögliche Verlust alter Freunde wird durch die neuen Kameraden bei der Bundeswehr und der NATO doch mehr als ausgeglichen.

Rainer Balcerowiak