Hannoversche Allgemeine, 28.08.2000
Im Dilemma
Über die Munitionsfabrik für die Türkei gibt es Gemurre in den Koalitionsfraktionen, es ist aber unwahrscheinlich, dass es zu einem Krach kommt. Bundesaußenminister Joschka Fischer hat zusammen mit Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Bundessicherheitsrat gegen die Lieferung gestimmt, aber er hat kein Vetorecht. Die Türkei ist Nato-Mitglied, Rüstungshilfe für Bündnispartner ist selbstverständlich, der Kampfpanzer Leopard gilt als Ausnahme - von der Linie der bisherigen Bundesregierungen will auch die Regierung Schröder im Prinzip nicht abweichen. Fischer mahnt ruhige Herangehensweise an das leidige Thema sowie Kompromissbereitschaft an. Das klingt diplomatisch, löst aber das Dilemma der Grünen nicht. Dass Heidemarie Wieczorek-Zeul das gigantische Aufrüstungsprogramm der Türkei ebenfalls kritisch begleitet, erklärt sich aus ihrem Amt. Die Gelder, die Ankara für Panzer und Kanonen ausgibt, fehlen für die Modernisierung des Landes. Dafür darf dann das Entwicklungshilfeministerium einspringen.
Panzer sind schlimmer
Die Grünen murren, aber es gibt keinen Aufschrei. Zum Schwur über die deutsch-türkische Rüstungszusammenarbeit kommt es ohnehin erst im kommenden Jahr, sollten sich die Generäle für den Leopard 2 entscheiden. Der Kampfpanzer regt weit stärker auf als eine Munitionsfabrik. Zwar haben die Grünen seit ihrem Machtantritt in Berlin auch ihren Frieden mit dem Militär geschlossen, aber es bleibt ein Restrisiko, bei dem durchaus noch die Koalitionsfrage gestellt werden kann. Die Panzerlieferung kann dazugehören, die Munitionsfabrik eignet sich kaum dazu. Denn unbestritten entsprechen Waffenlieferungen an die Türkei dem Natovertrag. In der Amtszeit von Kanzler Helmut Kohl war das keine Frage. Ob die Kurdenpolitik in Deutschland öffentlich erörtert wurde oder nicht, die Waffenlieferungen an den Partner am Bosporus überstanden alle Höhen und Tiefen der beiderseitigen Beziehungen. Die türkische Armee war fest in die Sicherheitspolitik des Bündnisses eingebunden, ob sie daneben noch die Kurden bekämpfte, interessierte allenfalls am Rande. Und als die türkischen Militärs im vergangenen Jahr einen Modernisierungsschub im Wert von 150 Milliarden Mark beschlossen, geschah dies auch auf das Drängen des Bündnisses hin. Während des Kalten Krieges war die Türkei vor allem ein Stabilitätsfaktor am Südrand der Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts gab es jedoch keine Phase der Unsicherheit und Umorientierung wie in Westeuropa, denn im türkischen Bedrohungszenario wimmelte es nur so von neuen Gegnern. Die unberechenbaren Länder im südlichen Kaukasus gehörten dazu, die Iraner im Osten, die Iraker und Syrer im Süden, die Griechen im Südwesten. In dieser unruhigen Gegend einen Bündnispartner zu wissen, passt in die Stabilitätspolitik der Nato. So rannten die Militärs mit ihren Rüstungswünschen nur offene Türen ein.
Berlin steht nicht abseits
Vor allem für die Bundesrepublik gehören Rüstungslieferungen in die Türkei zur Tradition. Allein aus Deutschland floss im Laufe der Jahre Ausrüstungshilfe im Wert von sieben Milliarden Mark an den Bosporus. Auch im aktuellen Aufrüstungsprogramm steht die Bundesrepublik nicht abseits: Neben den 1000 Leo-2-Panzern ist unter anderem von Minenjagdbooten, Hubschraubern, Haubitzen und Panzerfäusten die Rede. Die Munitionsfabrik wird sicher auch für den türkischen Waffenexport eingesetzt werden, nicht nur für den Eigenbedarf. Gewiss kann sich die Bundesrepublik nicht dem Nato-Auftrag entziehen, zur Vereinheitlichung der Rüstungssysteme beizutragen. Ob sie aber den Aufstieg der Türkei zur militärischen Regionalmacht in der Region zwischen Kaukasus und Nahem Osten mit finanzieren muss, ist ein Thema, das eine Strategiedebatte im Bundestag lohnt. Das Thema geht zumindest über die Erörterung der Menschenrechtsverletzungen im Kurdenkrieg hinaus. Das Dilemma der Grünen ist es, als antimilitaristische Partei in einer friedlosen Welt Regierungsverantwortung tragen zu müssen. Die ruhige Betrachtungsweise, zu der Joschka Fischer rät, legt ein kompliziertes außen- und sicherheitspolitisches Geflecht bloß, an das bei der Formulierung des Koalitionspapiers niemand gedacht hatte. Spätestens, wenn im Bundestag über den Leopard 2 gesprochen wird, sollte auch die Rolle Deutschlands in der Nato-Sicherheitspolitik erörtert und entschieden werden. Andernfalls kommt die Koalition nie aus ihrem Dilemma heraus.
Hans-Anton Papendieck, Hannover