junge Welt, 29.08.2000
Munitionsfabrik für Ankara
Die hessische Firma Fritz Werner darf auch unter Rot-Grün heikle Rüstungsgeschäfte tätigen
Bis vor kurzem versuchte das Wirtschaftsministerium zu mauern: Ob eine Anfrage zur Lieferung von Gewehrmunition für die Türkei vorliegt, wollten Sprecher dort offiziell nicht bestätigen. Dabei war seit längerem der Wunsch Ankaras bekannt, die Armee des Landes mit neuer Munition auszustatten: Mit dem Kaliber 5,45, das auch in den anderen NATO-Ländern seit einigen Jahren Standard ist. Seit Ende letzter Woche ist das »Versteckspiel« beendet. Das Wirtschaftsministerium hat nach eigenen Angaben eine Ausfuhrgenehmigung für dieses heikle Rüstungsgeschäft im Umfang von 90 Millionen Mark mit der Türkei erteilt. Danach hat die hessische Firma Fritz Werner in Geisenheim bei Wiesbaden den Zuschlag erhalten, eine Munitionsfabrik zur Herstellung der von Ankara gewünschten Gewehrmunition zu liefern.
Nun ist in den Bundestagsfraktionen der Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen zwar ein neuer Streit entbrannt, ob dieses Geschäft überhaupt hätte genehmigt werden dürfen. Aber für Wirtschaftsminister Müller und Kanzler Schröder ist es keine Frage: Auch die im Januar diesen Jahres vom Kabinett beschlossenen neuen Rüstungsexportrichtlinien, die zum Beispiel ausdrücklich die Menschenrechtslage im möglichen Empfängerland als ein Kriterium für eine positive oder negative Entscheidung nennen, stehen einem Export, so Müller in einem knappen Kommentar, »nicht entgegen«.
Das ist eine für Friedens- und Menschenrechtsorganisationen durchaus erstaunliche Erkenntnis: »Nach Angaben von amnesty international«, so Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative in Bonn, »gehört die Türkei bis heute zu den Ländern, in denen Mißhandlungen und Folter in Polizeistationen und Gefängnissen, willkürliche Verhaftungen und Morde durch Angehörige der Sicherheitsbehörden an der Tagesordnung sind. Sind das keine Menschenrechtsverletzungen?«
Vor diesem Hintergrund erklärte dann auch die grüne Abgeordnete Claudia Roth, Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, die Entscheidung des Wirtschaftministeriums sei »ein klarer Verstoß« gegen die beschlossenen Richtlinien und »politisch falsch«. Allzuviel Unterstützung erhält Roth vom grünen Parteikollegen Joseph Fischer oder von anderen in der Fraktion aber nicht. Fischer, der natürlich seit Monaten informiert war und zumindest zusammen mit Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek- Zeul (SPD) Einwände gegen dieses Rüstungsgeschäft vorgebracht haben soll, wollte nun als »Geheimnisträger« das Ganze »nicht weiter kommentieren«.
Anders als die Panzer-Entscheidung, also die im Herbst 1999 erfolgte Lieferung eines Kampfpanzers Leopard II zu Testzwecken, scheint sich diesmal nicht mehr sehr viel Widerstand gegen derartige Geschäfte zu regen. Für politische Beobachter keine überraschende Entwicklung: Nach der Entscheidung, den völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien mitzutragen, hatte vor allem die grüne Partei einen erheblichen Aderlaß zu verzeichnen, und der Druck an der Basis von sich friedenspolitisch engagierenden Menschen ist hier durch zahlreiche Austritte offenkundig kleiner geworden.
Firmen wie Fritz Werner wird das freuen. Das hessische, ehemals bundeseigene Unternehmen, inzwischen eine Tochterfirma der Ferrostahl AG, hat eine lange Tradition bei der Belieferung von Despoten, Folterregimen und Militärdiktaturen, die nun auch unter der Schröder-Fischer- Regierung ihre Fortsetzung erfahren soll: In der Vergangenheit gehörte unter anderem der Schah von Persien zu den besten Kunden. Während des iranisch-irakischen Krieges von 1980 bis 1988 belieferte die Firma beide Kriegsparteien, was ihr Ermittlungen der hessischen Justiz bescherte und den ehemaligen Außenminister Genscher in Bedrängnis brachte. Der hatte 1981 in einem Brief an den Aufsichtsrat der Firma, zu einer Zeit, als der Krieg zwischen den rivalisierenden Ländern am Golf tobte, die Hoffnung formuliert, es gebe eine Lösung bei der Ausfuhr von Material aus »Altverträgen«. Angesichts des Krieges sei möglicherweise »nicht bei allen« Anträgen eine Genehmigung möglich.
Nach den gesetzlichen Bestimmungen war die Ausfuhr von Kriegsgerät in Spannungsgebiete verboten. Doch da wußte sich Fritz Werner mit eigentümlichen Definitionen und Ratschlägen vom damaligen Außenminister, der seine Tips nach der Aufnahme staatsanwaltlicher Ermittlungen lediglich als »Informationen zur Rechtslage« verstanden wissen wollte, aus der Misere zu helfen. Die Bezeichnung Munitionsfabrik findet sich bei der firmeneigenen Präsentation der Produkte und Kunden nicht. So hatte zum Beispiel der Kunde »Regierung von Iran« eine »Fabrik zur Herstellung von Werkzeugen« bei Fritz Werner geordert. Und der Irak erhielt Maschinen zur Herstellung von Rohren.
»Daß Fritz Werner mit seiner von Skandalen geschüttelten Firmengeschichte heute unter Rot-Grün der Türkei eine Munitionsfabrik liefern darf, ist unfaßlich«, so Kristian Golla zu den neuesten Meldungen in Sachen Rüstungsexport.
Thomas Klein