Die Welt, 29.08.2000
Waffenexport: Schröder will den Testfall
Rot-grüne Regierung hätte Ausfuhr der Munitionsfabrik trotz Vorentscheidung nicht genehmigen müssen
Von Hans-Jürgen Leersch
Berlin - Trotz einer positiven Vorentscheidung der alten CDU/CSU-Koalition hätte die rot-grüne Bundesregierung den Export einer Munitionsfabrik für die Türkei nicht genehmigen müssen. Dies erfuhr die WELT aus Regierungskreisen in Berlin.
Nach diesen Angaben war die Vorentscheidung im Bundessicherheitsrat für die Munitionsanlage wie in anderen Exportvorentscheidungen auch "unter dem Vorbehalt gleich bleibender politischer Bedingungen" erfolgt. Dies sei ein übliches Verfahren.
Der Vorbehalt gilt nach diesen Angaben nicht nur für Veränderungen der politischen Situation im Empfängerland von deutschen Rüstungsgütern, sondern auch für die Situation im Inland. Und die Situation in Deutschland habe sich mit dem Erlass der neuen Rüstungsexportbestimmungen entscheidend verändert. Seitdem ist die Beachtung der Menschenrechte durch Empfängerstaaten oberstes Prinzip für Ausfuhrgenehmigungen. Die endgültige Exportgenehmigung für die Munitionsanlage sei daher keinesfalls zwingend notwendig gewesen.
Große Teile der Grünen lehnen das Geschäft ab. Außenminister Joschka Fischer hatte die Zustimmung jedoch mit dem Hinweis auf die Vorentscheidung der Kohl-Regierung verteidigt und von einem Kompromiss gesprochen.
In Berlin wird davon ausgegangen, dass Kanzler Gerhard Schröder und große Teile der SPD die Lieferung der Munitionsanlage als Testfall für das große Panzergeschäft für die Türkei ansehen. Im Bundessicherheitsrat waren Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) bei der Abstimmung über die Munitionsanlage wie schon bei der Lieferung eines Leopard-Testpanzers an die Türkei überstimmt worden. FDP-Chef Wolfgang Gerhardt warf den Grünen vor, in Rüstungsfragen vor Schröder zu "kuschen". Die Behauptung von Fischer, die Regierung habe wegen der Vorentscheidung zustimmen müssen, sei "abenteuerlich". Der CDU-Außenpolitiker Karl Lamers sagte, die Lieferung der Munitionsfabrik ebne den Weg für das Panzergeschäft.
Auffallend ist, dass sich Schröder selbst nicht auf die Vorentscheidung der alten Regierung bezog, sondern erklärte, es handele sich um eine "wohlabgewogene, bündnispolitisch abgesicherte und auch, was die Richtlinien der Bundesregierung angeht, im Einklang damit befindliche Entscheidung".
Ein weiteres Indiz dafür, dass Schröder bereit ist, der Türkei die gewünschten 1000 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 zu liefern, wird in Kanzler-Äußerungen zum Export von Leopard-Panzern nach Griechenland gesehen. Dazu sagte Schröder im ZDF: "Griechenland ist nun wirklich eine Demokratie, die funktioniert, und an der nun keiner Kritik üben kann und keiner Kritik übt. Griechenland ist Partner in der EU und ist Nato-Partner. Welchen Grund sollte es geben, Griechenland diesen Wunsch zu verweigern. Es gibt keinen solchen Grund."
Um außenpolitische Verwicklungen mit den rivalisierenden Nato-Ländern Türkei und Griechenland zu vermeiden, orientieren sich deutsche Exportgenehmigungen für diese Region immer an einem einfachen Grundsatz: Was die Griechen bekommen, erhalten auch die Türken - und umgekehrt.