DER SPIEGEL 35/2000, 28.08.2000
Volle Deckung
Eine deutsche Firma soll der Türkei eine Munitionsfabrik bauen mit Genehmigung der Berliner Regierung. Die Grünen fühlen sich aufs Neue brüskiert.
Seitdem der Atomausstieg beschlossene Sache ist, gibt es für die Schröder-Regierung vor allem ein Reizwort: "Rüstungsexport". Die Grünen möchten gern, da macht sich die antimilitaristische Tradition bemerkbar, besondere Zurückhaltung üben. Die meisten Sozialdemokraten hingegen wollen das schöne Geschäft nicht den Nato-Partnern überlassen. Um die Wogen zu glätten, sollte erstmals ein "Rüstungsexportbericht" der Koalition vorgelegt werden. Immerhin wäre damit der grüne Wunsch erfüllt worden, mehr Licht in die Geschäfte mit Panzern und Munition zu bringen.
Aus der für diese Woche geplanten Show wird jedoch nichts, dafür sorgten Aufsehen erregende Nachrichten über Waffen-Deals, die prompt alte Reflexe bei den Grünen weckten. Der Streit fällt fast so heftig aus wie im Herbst 1999, als die Lieferung eines Test-Panzers für die Türkei das rot-grüne Bündnis beinahe gesprengt hätte.
Den Anfang machte am Montag vergangener Woche ein Bericht der "New York Times", wonach Deutschland auf den dritten Platz beim Waffenverkauf vorgerückt sei, hinter den USA und Russland, vor China, Frankreich und Großbritannien. Eine peinliche Meldung für die Regierungsparteien, die sich 1998 vorgenommen hatten, die Waffenausfuhr einzudämmen.
Dann musste das Bundeswirtschaftsministerium bestätigen, dass Griechenland wohl bald an die 250 "Leopard 2"-Panzer bestellen werde und Berlin bereits eine Hermes-Bürgschaft über fast vier Milliarden Mark zugesagt habe.
Schließlich wurde publik, dass eine deutsche Firma mit Partnern aus Belgien, Italien und Frankreich der Türkei eine Anlage zur Produktion für Gewehrmunition liefern darf mit Erlaubnis der Berliner Regierung, die doch dem Nato-Partner wegen dessen fragwürdigen Umgangs mit den Menschenrechten derzeit Kampfpanzer und anderes Kriegsgerät verweigert.
"Ein Affront", erregte sich die grüne Militärfachfrau Angelika Beer: "Die Brisanz von Rüstungsexporten in die Türkei dürfte doch inzwischen jedem bekannt sein." Ein klarer "Verstoß" gegen die neuen Exportrichtlinien und "politisch falsch" sei die Entscheidung, rüffelte die Kollegin Claudia Roth die Regierung.
Tatsächlich erschließt sich die Export-Logik der Regierung nur schwer: Panzer sollen die Türken nicht bekommen, weil sie damit auf Kurden schießen könnten. Aber eine Fabrik für Gewehr- und Pistolenmunition mit dem neuen Nato-Kaliber 5,56 Millimeter darf es schon sein. Wie will Deutschland jetzt noch Wünsche Ankaras nach Lieferung der passenden Gewehre und Maschinenpistolen verweigern?
So wurde Joschka Fischer, der Außenminister, unversehens wieder zur Zielscheibe für Freund und Feind. Der Ober-Grüne ging erst einmal voll in Deckung: "Ich sage dazu nichts."
Der Bundessicherheitsrat, ein geheim tagender Ausschuss des Kabinetts, hatte kurz vor der Sommerpause dem Munitionsdeal zugestimmt, allerdings gegen Vorbehalte Fischers. Wie beim Test-Leo vor einem Jahr hatte er gegen Kanzler Schröder und dessen Verbündete Rudolf Scharping (Verteidigung) und Werner Müller (Wirtschaft) den Kürzeren gezogen.
Nur: Nach der herbstlichen Panzerschlacht im Kanzleramt hatte die Koalition im Januar schärfere Regeln für Waffenexporte beschlossen und die Beachtung der Menschenrechte zu einem Kriterium für Ausfuhrgenehmigungen gemacht auch für Nato-Partner wie die Türkei.
Immerhin, streuten Fischer-Vertraute, habe der Bundessicherheitsrat einen anderen Deal erst einmal vertagt: Die Türkei möchte deutsche Hightech-Anlagen, etwa Infrarotsensoren, mit denen sie ihre Grenze zum Irak samt Kurdengebiet überwachen könnte. Auch sonst mühten sich Gehilfen des Außenministers eifrig, die Wogen zu glätten. Mit nur 6,7 Prozent Wählerstimmen, so die Botschaft an die Fraktion, habe der kleine Koalitionspartner eben keine absolute "stopping power".
Das Wirtschaftsministerium versuchte derweil listig, die Munitionsfabrik zu einer Erblast der alten Regierung zu erklären. Die habe Voranfragen des Geisenheimer Unternehmens Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH einer Tochter des MAN-Konzerns für das 90-Millionen-Mark-Geschäft früher positiv beschieden; daraus hätten sich eben "rechtliche Verpflichtungen" ergeben.
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Bescheide für Voranfragen gelten immer "vorbehaltlich unveränderter Umstände". Jedenfalls steht das so im Entwurf des neuen Berichts über die "Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter" und der stammt schließlich aus der Bürokraten-Mühle Müllers.
Dass Kanzler Schröder beim Rüstungsexport nicht gerade auf der Bremse steht, hat er schon öfter deutlich gemacht. So forcierte der Kanzler selbst das geplante Leo-Geschäft mit Griechenland, weil ihn das Gezerre um die Türken-Panzer ärgert.
Zuletzt hatte Schröder mit Fischer am 14. Juni Zoff im Kabinett. Da ging es um die Bundeswehrreform und den Wunsch Scharpings, Erlöse aus dem Verkauf überschüssiger Waffen seinem Etat gutzuschreiben. Der Außenminister plädierte dafür, das Kriegsgerät zu verschrotten, Deutschland dürfe nicht zum "größten Waffenhändler" der Welt aufsteigen. Man könne doch Scharping nicht zugleich auffordern zu sparen "und andererseits ihn die Möglichkeiten, die er hat, nicht ausschöpfen lassen", herrschte Schröder seinen Vize an. Fischer kuschte.
Die Gefahr, durch Scharpings Überschuss-Waffen zum Exportweltmeister aufzusteigen, ist ohnehin gering. Im vorigen Jahr betrugen die Erlöse für sein Haus gerade mal 65 Millionen Mark. Im Schnitt der vergangenen Jahre standen die Deutschen in der Statistik des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri auf Rang fünf.
Umso größer war die Aufregung über die Meldung der "New York Times", die Deutschen hätten 1999 für vier Milliarden Dollar Kriegsmaterial verkauft und seien auf den dritten Platz vorgerückt: Die eigene Statistik im neuen Exportbericht verzeichnet nur Kriegswaffenausfuhren von rund 2,8 Milliarden Mark, von denen allein 940 Millionen auf zwei U-Boote für Israel entfallen. Eilig forderten die Berliner ihre Botschaft in Washington auf, den zitierten Report des US-Wissenschaftlers Richard Grimmett für den US-Kongress herbeizuschaffen.
Die Botschaft gab rasch Entwarnung. Im Grimmett-Report waren Rüstungsvereinbarungen gemeint, die wie ein 1999 akquiriertes Milliarden-Geschäft über U-Boote und Korvetten für Südafrika über mehrere Jahre hinweg abgewickelt werden, was in dem Bericht ausdrücklich vermerkt worden war. Ansonsten rangieren die Deutschen auf Platz fünf, wie gehabt.
ALEXANDER SZANDAR